Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
alt sein. Ja, er hatte unvorstellbar schlimme Dinge getan, hatte Lea verwundet, bedroht und eingeschüchtert, und Gott wusste, was er und seine Kumpane noch alles getan hätten, wenn Hans nicht dazugekommen wäre. Er konnte kein Mitleid mit ihm verspüren. Aber hatte er deshalb den Tod verdient?
Und nun waren da diese beiden furchterfüllten Augen, die seiner Tochter gehörten und die ihn ansahen, als sei er ... als sei er ...
„Lea“, sagte er mit brüchiger Stimme, „lass mich erklären---“
Sie erhob sich wie in Trance. Drehte sich wortlos um und ging ein paar Schritte. Sie zog das rechte Bein nach. War sie schwer verletzt? Aber dann lief sie, immer noch ungleichmäßig, wie unter Schmerzen, aber doch immer schneller, und bis sie am Ausgang des Baustellengeländes angekommen war, rannte sie ein verzweifeltes, hinkendes Rennen.
Er hätte sie problemlos einholen können. Aber hätte das etwas genutzt? Er hätte sie nur noch mehr in Panik versetzt. Vielleicht hätte er ihr sogar irreparablen psychischen Schaden zugefügt, wenn er ihr nachgesetzt hätte.
Vielleicht aber hatte er das ohnehin schon getan? Er war ein Mörder. Nicht nur in ihren Augen, auch nach allen objektiven Tatsachen. Ein Mörder. Eine Bestie.
Hans Leonardt ballte die Fäuste gegen den Himmel, schlug laut schreiend gegen die Mauer, aus der armdicke Stücke herauskrachten, und brach schließlich zusammen, dunkelrote Tränen weinend, die aus dem Blut des toten Jungen gemacht waren.
37. Kapitel
Montag. Natürlich Montag. Er betrachtete das klaffende Loch in seiner rechten Socke. Solche Dinge passierten nur an Montagen.
Er öffnete die Schublade. Keine sauberen Socken mehr da. Als Mariam noch hier gewesen war, hatte sie solche Dinge immer im Auge behalten. Du musst ordentlich ins Büro, Liebling, sonst lachen sie dich aus, und deine Autorität ist beim Teufel. Wie recht sie gehabt hatte, und wie mühevoll es war, solche Sachen zusätzlich zur normalen Arbeit in Ordnung zu halten. Mürrisch zog er die löchrige Socke wieder an und schlüpfte in die dunkelgraue Anzughose.
Er warf einen Blick auf sein Handy und registrierte eher halbbewusst, dass es behauptete, heute sei gar nicht Montag. Egal. Seinem Wesen nach war dieser Tag ein Montag. Ein Montag ehrenhalber. Montag h.c.
Eine halbe Stunde später grüßte er beiläufig seine Sekretärin und verschwand eilig in seinem Büro, seiner Zuflucht. Er riss die Schreibtischlade auf und holte die Tablettenpackung heraus. Leer. Verdammt, wie schlimm konnte ein Montag noch werden!? Verärgert warf er die leere Schachtel in eine dunkle Ecke des Büros und fluchte leise vor sich hin, als Frau Dittmann sich über die Sprechanlage meldete.
„Haben Sie sich jemals darüber Gedanken gemacht“, fragte er sie, „warum die Menschen eigentlich so schlecht auf den Montag zu sprechen sind? Weil die Arbeitswoche damit anfängt, natürlich. Aber wissen Sie auch, was das für den heutigen Tag bedeutet? Heute ist der zweite Januar. Heute fängt das Arbeits jahr an. Wenn Sie die Katastrophen eines Montags hochrechnen, wissen Sie, was uns dann heute noch erwarten kann?“
„In gewisser Weise schon“, erwiderte ihre leicht verzerrte Stimme aus dem Lautsprecher, „es scheint, wir haben hier ein Tötungsdelikt.“
„Auch das noch. Opfer?“
„Ein siebzehnjähriger Junge. Er hieß Jörg Uglik und besuchte die zwölfte Klasse des Eschersbacher Gymnasiums. Mehr wissen wir noch nicht, man hat ihn gerade erst gefunden.“
„Wer hat ihn gefunden?“
„Auf der Baustelle vom Einkaufszentrum im Gewerbegebiet sollten heute Morgen die noch zu entsorgenden Stoffe aus dem abgerissenen Haus abgeholt werden. Die zwei Angestellten der Stadtwerke haben uns telefonisch verständigt. Sie haben auch den Schülerausweis des Jungen gefunden.“
„Heißt das, sie haben die Leiche schon angetatscht und alles? Meine Herrn, wie blöd kann man denn werden? Wir sollten Schulungen geben, die alle Bürger künftig jedes Jahr besuchen müssen: Wie verhalte ich mich am Tatort? Tipps und Tricks für Leute, die glauben, der Polizei einen Gefallen zu tun, wenn sie deren Arbeit machen.“
„Seien Sie nicht so streng, Herr Ritterbusch. Die beiden sind völlig durcheinander. Und um ehrlich zu sein, ich kann es verstehen. Wir hatten seit mehr als zehn Jahren keinen Mordfall mehr in diesem Nest.“
„Noch wissen wir nicht, ob es Mord war.“
„Einer der beiden Anrufer sprach von einer Stich- oder Bisswunde am Hals des
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