Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
Paranoia den Menschen gegenüber.
Eigentlich sollte er der Herr sein und sie ihm dienen. Wäre das nicht nur gerecht? Er war ebenso stark wie sie, vielleicht sogar noch stärker, und seine Kenntnisse in der Schwarzen Kunst machten ihn selbst unter Vampiren zu etwas Einzigartigem. Er war kaltblütig, intelligent, berechnend und mächtig. Er war ein Führer.
Aber gerade die Schwarze Kunst war es, die ihn an sie band. Er hatte sie herbeigerufen, als er noch ein Sterblicher gewesen war, herausragend unter seinesgleichen, aber sterblich und schwach, verglichen mit den mächtigen Wesen der Nacht. Er hatte sie zu sich bestellt wie einen x-beliebigen kleinen Dämon, nicht wissend, mit welchen Kräften er es zu tun hatte, fasziniert von seiner eigenen Fähigkeit, dieses dunkle, traurige, scheinbar allmächtige Wesen vor sich erscheinen zu lassen.
Es gab in der Schwarzen Magie eine eherne Regel, ganz wie in der Geschäftswelt der Menschen: Ein Dienstverhältnis blieb ein Dienstverhältnis und konnte niemals zu einer gleichwertigen Beziehung werden. Wer einen Dämon herbeirief, der musste ihm befehlen, und seine Autorität musste groß genug sein, um die des Dämons zu bezwingen.
Palazuelo hatte sich zu früh zu weit vorgewagt. Einige Jahre später, und er wäre der Fürst der Magier in ganz Europa geworden. Seine Fortschritte waren vielversprechend, seine Kenntnisse größer, als es bei irgendjemandem dieser Zunft seit dem Mittelalter der Fall gewesen war.
Aber er wollte mehr, er hatte immer mehr gewollt im Leben, und er hatte nach der Beschwörung einiger schwächerer Dämonen des ersten und zweiten Kreises niemand anderen im Sinn als jene mysteriöse Vampirkönigin, die sich im fernen Prag eingenistet haben sollte und von dort ihre intriganten Fäden über den halben Kontinent spann.
Der sterbliche Julio Palazuelo, der seit seinem sechsten Lebensjahr niemals mehr in einem Kampf auf der Verliererseite gestanden hatte, musste schnell erkennen, dass die Unsterblichen von anderem Kaliber waren, als er sich jemals hätte träumen lassen.
Er konnte ihr nicht befehlen.
Aber ein Dienstverhältnis blieb ein solches, und wenn man sich den Dämon nicht untertan machen konnte, dann wurde man selbst von ihm unterworfen.
Nachdem sie ihm den Tod gewährt hatte und er die Eigenschaften seines neuen, unsterblichen Körpers zu erforschen begann, wurde ihm rasch klar, dass seine vermeintliche Niederlage in Wirklichkeit zu seinem größten Sieg werden sollte. Ein durchschnittlicher Mensch konnte als Vampir zu einem gefürchteten Wesen werden. Ein Julio Palazuelo hatte das Zeug zum Alptraum der Menschheit.
Die Kränkung, seiner Herrin dienen zu müssen, blieb jedoch bestehen. Wieder und wieder hatte er durch Bannflüche, mächtige alte Zaubersprüche oder durch schiere Gewalt versucht, seiner ewigen Adjutantenrolle zu entkommen. Zwecklos. Er hatte seine überwältigende Macht mit seiner Freiheit bezahlt.
„Es gibt allerdings Möglichkeiten, sich dennoch gewisse Freiräume zu verschaffen“, sagte er zu dem Teppich.
Eigentlich hatte er ja in Deutschland strengstes Jagdverbot. Um kein Aufsehen zu erregen. Als ob er ein Anfänger sei wie diese Niete Leonardt, der nach der Mahlzeit seine Essensreste herumliegen ließ, bis die Polizei sie fand. Aber zog sie daraus die Konsequenz, sich seiner zu entledigen? Nein. Sie hatte an ihm einen Narren gefressen.
„Weshalb ich nicht ganz einsehe, meine Zeit in diesem fruchtbaren Land als Asket zu verbringen“, fuhr er fort, zerriss den groben Strick um den Teppich mit bloßen Händen und rollte ihn aus.
Darin lag zitternd ein junger, kräftig gebauter Mann in einem an mehreren Stellen zerrissenen blauen Trainingsanzug. Obwohl er weder gefesselt noch geknebelt war, rührte er sich nicht und gab keinen Laut von sich.
„Dieses Gefühl ist dir neu, nicht wahr?“, fragte der Spanier mit kaltem Lächeln. „Du hast die Aura eines Menschen, der selbst des Puppenspielers Fäden zieht, anstatt an ihnen zu hängen. Der die Macht in den Händen hält, der über Leichen geht. Aber keine Angst. Ich bin kein Racheengel. Die Leute, die du in deinem Leben tyrannisiert hast, sind mir egal.“
Er ging zur Minibar und öffnete sie. Nachdem er einen Moment lang die verschiedenen Spirituosen betrachtet hatte, entschied er sich für ein Fläschchen Wodka.
„Dass du dich nicht bewegen kannst, liegt an den kleinen Kratzern in deinen Armen und Beinen, die ich dir beigebracht habe“, erklärte er, während er mit
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