Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
Daumen und Zeigefinger gegen die Wangen seines Opfers drückte, bis es zwangsläufig den Mund öffnete. Er ließ den Wodka hineinfließen, bis die Flasche leer war.
„Hast du gespürt, wie es kribbelt, bevor das Gefühl die Gliedmaßen verlässt? Wie ein Heer von Ameisen auf deiner Haut. Ich finde es immer wieder interessant, wie die Sterblichen darauf reagieren. Du warst sehr gefasst. Dachtest anscheinend, es würde gleich vorübergehen.“
Er lachte laut auf und wandte sich dem Computer zu. „Ich komme wieder zu dir, wenn der Wodka in deinem Blut ist. Amüsier dich solange.“
Elisas E-Mail enthielt genau das, was er erwartet hatte. Wie im elektronischen Schriftverkehr üblich, übernahm er ihren Text in seine Antwort und nahm zu ihren einzelnen Zeilen, die in seiner E-Mail mit einem >-Zeichen gekennzeichnet waren, direkt Stellung.
> Mein Julio,
> du bist nun seit drei Tagen in Deutschland, und obwohl ich um sofortige Mitteilung ersuchte, habe ich seit deiner allerersten, durchaus beunruhigenden Nachricht noch nichts von dir gehört.
Verzeiht, Dona Elisa. Es haben sich unvorhergesehene Probleme ergeben.
> Ich gehe davon aus, dass du mich sofort unterrichten würdest, wenn der Plan nicht eingehalten werden könnte. Die Anlage ist jetzt fast fertig, und
Die Tochter des Programmierers hat, wie ich in meiner ersten Nachricht bereits erwähnte, ihr Elternhaus verlassen und hält sich an unbekanntem Ort auf. Offenbar ist noch so viel Menschliches in ihm, dass ihn das in seiner Arbeit beeinträchtigt. Gestern hat er sogar seinen Arbeitsplatz verlassen und wollte sie suchen. Ich musste gewisse Überredungskünste anwenden, um ihn davon zu überzeugen, dass es für alle Beteiligten das Beste ist, wenn er weiter seiner Arbeit nachgeht, für die wir ihn bezahlen. Aber er ist nicht mehr bei der Sache, er ist unkonzentriert und fahrig und macht Fehler.
> Du weißt, was ich von Leonardt halte, und ich erwarte von dir unbedingte Unterstützung in meinen Entscheidungen.
Und Ihr wisst, dass ich Eure Meinung, so sehr ich sie schätze, nicht teilen kann. Er lässt uns im Stich. Wir sollten uns seiner so schnell wie möglich entledigen und uns einen anderen Programmierer suchen. Aber dies zu entscheiden, ist selbstverständlich nicht an mir.
Mit untertänig
Er hielt inne, betrachtete die letzte, unvollendete Zeile und löschte sie dann wieder.
Adios,
Julio
Die Niederschrift der E-Mail hatte insgesamt etwa eine halbe Minute gedauert. Er schickte die Nachricht ab und drehte sich zu dem Mann im Trainingsanzug um, dessen Blick mittlerweile etwas glasig geworden war. Das Zittern jedoch war geblieben.
„Es ist ein Zauber, der deinen Mund verschließt. Praktisch, nicht wahr? Ja, die Magie ist eine überaus praktische Kunst. Aber man muss sie beherrschen. Ich sage dir, man muss sie beherrschen. Willst du wissen, wie es sich anfühlt, wirklich stark zu sein?“
Sein stummer Gesprächspartner nickte, während ihm der Angstschweiß in Strömen über das Gesicht lief.
„Du nickst, weil du glaubst, es könnte mich milde stimmen, nicht wahr? Du möchtest mir nicht widersprechen. Oh, wie vorhersagbar und wie erbärmlich ihr werdet, wenn ihr im Staub kriecht. Dabei könnte all das so schnell vorbei sein für dich. Ich könnte dich zu einem der Unseren machen, unsterblich und mächtig. Jeder, der von unserer Art ist, kann das. Oder ich teile meine Kräfte und Fähigkeiten mit dir. Das wiederum kann nur ich, denn es betrifft die Schwarze Kunst. Ich kann dich stark machen, ich kann machen, dass du andere so verletzen kannst, wie ich dich verletzt habe, du könntest andere – Menschen, Städte, Völker – unterwerfen, du könntest zusehen, wie deine Opfer reagieren, wenn bei ihnen das Kribbeln einsetzt und wenig später ihre Arme wie zwei groteske Auswüchse an den Seiten baumeln ... möchtest du das?“
Wieder ein Nicken. Palazuelo spürte die Verzweiflung. Er grinste. Waren es nicht diese Momente, die das Unleben immer wieder lebenswert machten?
Mit einem lauten Lachen stürzte er sich auf den immer noch am Boden Liegenden, schlug seine Fänge in den wehrlosen Hals und trank ohne abzusetzen oder zu atmen, bis der Nachschub versiegte.
„Jämmerliche Spezies“, stieß er hervor, während er sich erhob. Er spürte den Wodka im Blut des Sterblichen. Der Alkohol breitete sich in Palazuelos Adern aus und hinterließ eine angenehme Wärme. Wie langweilig war es in seinem früheren
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