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Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)

Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)

Titel: Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Balzter
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brauchst, stell dich einfach an, es ist genug für alle da. Und wenn du dich nur etwas aufwärmen willst, such dir irgendwo eine nette Ecke und bleib so lange, wie du es für richtig hältst.“
    „Sie sind sehr nett. Werden Sie für diesen Job hier bezahlt?“
    „Ja natürlich.“ Wieder lächelte sie. „Aber nicht mit Geld oder anderen materiellen Dingen.“
    „Kann ich wirklich so lange bleiben, wie ich will?“
    „Wir haben normalerweise vier Notschlafplätze, speziell für Frauen und Mädchen. Leider sind sie momentan alle belegt mit jungen Müttern, die mit ihren kleinen Babys vor gewalttätigen Männern geflohen sind. Aber man muss kein Baby sein, um unter Gewalt zu leiden, nicht wahr? Ich könnte mir sogar vorstellen, dass du auch eine solche Geschichte hinter dir hast. Vielleicht sogar in deiner eigenen Familie.“
    „Hm ... könnte man so sagen.“
    „Brauchst du für eine Weile Unterschlupf?“
    „Ich weiß nicht. Ich ... habe mir noch keine Gedanken gemacht, was ...“
    „Verstehe. Nun, das musst du auch noch nicht. Aber für alle Fälle rufe ich mal beim Sleep-In durch, dort gibt es---“
    „Unterkünfte extra für obdachlose Jugendliche.“
    „Du bist ja gut informiert“, sagte die Nonne anerkennend.
    „Wir hatten das in der Schule. Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass es mich selbst so schnell betreffen könnte.“
    Sie nickte traurig. „Es geht immer viel zu schnell, dass die Dinge, von denen wir glauben, sie würden immer nur den anderen zustoßen, in unser eigenes Leben eindringen.“
    „Das klingt, als hätten Sie selbst auch eine ... Geschichte hinter sich.“
    „Ich bin nun wirklich nicht hier gelandet, um über mich zu reden“, winkte sie lachend ab. „Wenn du dich wieder gefangen hast, komm gerne noch einmal wieder, dann trinken wir einen Tee zusammen, und ich erzähle dir aus meinem Leben. Aber bis dahin kümmere dich erst einmal um dich selbst. Und für den Anfang werden wir dir ein warmes Bett besorgen, zumindest für ein paar Nächte. Dann kannst du weitersehen. Nimm von deinem Leben jetzt erst mal immer nur einen Tag auf einmal. Mehr führt in deiner Situation leicht zur Überdosierung.“
    Sie lief an der Essensausgabe vorbei und verschwand hinter einem Schrank, wo es offenbar ein Telefon oder ein Hinterzimmer geben musste. Wenig später war sie wieder da.
    „Sie haben noch Plätze frei und warten auf dich. Karlsruher Straße 9, nur ein paar Meter von hier. Dort kannst du auch etwas essen, dich duschen und deine Kleider waschen.“
    „Das ist sehr dringend – ich meine, sehr freundlich.“
    „Wenn du die Mannheimer Straße überquerst, einfach geradeaus. Und lass dich nicht von den Öffnungszeiten abschrecken, Menschen unter achtzehn dürfen jederzeit hinein.“
    Lea reichte der Nonne zum Abschied die Hand. Es war seltsam, sie hatte Nonnen und Mönche bisher eher wie Fanatiker angesehen, und nun begegnete sie zum ersten Mal einer solchen Fanatikerin persönlich und fühlte sich geborgen und aufgehoben. Nur weil sie nett war? Oder weil das Kruzifix eine trügerische Sicherheit vor den Untoten vorgaukelte, die Leas Leben und das ihrer Familie unwiederbringlich zerstört hatten?
    „Ich komme bestimmt einmal wieder“, hörte sie sich sagen.
    „Du bist jederzeit willkommen.“
     
    Als Lea am Südausgang des Hauptbahnhofs auf die Straße hinaustrat, glaubte sie ein Gesicht hinter der Ecke des Gebäudes verschwinden zu sehen, das eben noch den Eingang beobachtet hatte.
    Sie begann zu zittern. Die Unschuld, mit der sie solche Eindrücke früher als selbstverständlich hingenommen hatte, war dahin. Plötzlich lauerten überall Bedrohungen. Sicher, es war helllichter Tag, aber die Vampire hatten sicher sterbliche Helfer, nicht wahr? Oder war es ein Polizist in Zivil, der ihr auf der Spur war? Aber warum sollte der sich verstecken? Einen Teenager auf der Flucht beschattete man nicht, man griff ihn auf und brachte ihn zu seinen Eltern zurück.
    Es sei denn, man suchte ihn gar nicht aufgrund einer Vermisstenmeldung, sondern im Zusammenhang mit einem Verbrechen.
    Konnte es denn sein, dass die Polizei irgendwie wusste, dass sie dort gewesen war, als Jörg Uglik starb? Verdächtigte man sie etwa selbst?
    Mit plötzlicher Eile rannte sie, so schnell es mit dem verletzten Bein zu machen war, über die vierspurige Mannheimer Straße und verschwand in der schmalen Gasse dahinter.
    Sie blieb vor einem hohen, schlichten, hellgrauen Gebäude stehen.
    Der Klingelknopf

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