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Das Rosie-Projekt

Das Rosie-Projekt

Titel: Das Rosie-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graeme Simsion
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höher als angegeben, da ich die vor Ort ausgefüllten Fragebögen nicht mitgerechnet hatte. Insgesamt waren es dreihundertvier.
    »Gib mir deine Liste«, sagte Gene. »Ich werde ein paar für dich aussuchen.«
    »Keine davon erfüllt sämtliche Vorgaben. Alle haben irgendeinen Makel.«
    »Sieh es als Übung.«
    Das war ein Argument. Ich hatte noch einige Male an Olivia, die indische Anthropologin, gedacht und daran, welche Konsequenzen es hätte, eine hinduistische Vegetarierin mit starker Eiskrempräferenz als Partnerin zu wählen. Nur die Selbstermahnung, dass ich auf mein perfektes Gegenstück warten sollte, hatte mich davon abgehalten, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Sogar den Fragebogen von Fabienne, der unter Sexentzug leidenden Wissenschaftlerin, hatte ich ein zweites Mal überprüft.
    Ich mailte Gene meine Kalkulationstabelle zu.
    »Keine Raucherinnen«, warnte ich.
    »Okay«, meinte Gene. »Aber du musst mit ihnen ausgehen. Zum Abendessen. In ein ordentliches Restaurant.«
    Gene merkte, dass mich die Vorstellung nicht sonderlich begeisterte. Schlau, wie er war, nahm er sich des Problems an, indem er eine noch weniger akzeptable Alternative vorschlug.
    »Du könntest auch zum Fakultätsball gehen.«
    »Restaurant.«
    Gene lächelte, als wollte er meinen Mangel an Enthusiasmus wettmachen. »Es ist ganz einfach: ›Wie wäre es, wenn wir heute Abend essen gingen?‹ Sprich mir nach.«
    »Wie wäre es, wenn wir heute Abend essen gingen?«, wiederholte ich.
    »Na also, das war doch gar nicht so schwer. Mach nur positive Bemerkungen über ihr Äußeres. Bezahl das Essen. Sprich nicht von Sex.« Gene ging zur Tür, dann drehte er sich noch einmal um. »Was ist mit den Fragebögen auf Papier?«
    Ich reichte ihm die Unterlagen von
Tisch für acht
, von der Singles-Party und, als er darauf bestand, auch die nur sehr unvollständig ausgefüllten Fragebögen vom Speed-Dating. Damit hatte ich die Sache komplett aus der Hand gegeben.

6
    Etwa zwei Stunden, nachdem Gene mein Büro mit den ausgefüllten Fragebögen des Ehefrauprojekts verlassen hatte, klopfte es an die Tür. Ich war gerade dabei, Aufsätze von Studenten zu wiegen, was nicht verboten ist – aber vermutlich nur deshalb nicht, weil niemand weiß, dass ich es tue. Es gehörte zu meinem Projekt, den Aufwand für die Beurteilung zu reduzieren, indem ich auf leicht messbare Parameter achtete, wie etwa das Einfügen eines Inhaltsverzeichnisses oder den Unterschied zwischen einem gedruckten oder handgeschriebenen Titelblatt – Faktoren, die einen ebenso wertvollen Hinweis auf Qualität geben wie der ermüdende Prozess, den ganzen Aufsatz zu lesen.
    Ich schob die Waage unter meinen Schreibtisch, die Tür wurde geöffnet, und als ich aufsah, stand im Türrahmen eine Frau, die ich nicht kannte. Ich schätzte ihr Alter auf dreißig und ihren BMI auf zwanzig.
    »Professor Tillman?«
    Da mein Name an der Tür steht, war dies keine besonders scharfsinnige Frage.
    »Korrekt.«
    »Professor Barrow schlug vor, dass ich Sie aufsuche.«
    Ich wunderte mich über Genes Effizienz, und während sie sich meinem Schreibtisch näherte, musterte ich die Frau genauer. Es gab keine offensichtlichen Anzeichen, dass sie ungeeignet wäre. Ich konnte kein Make-up erkennen. Ihre Figur und ihr Teint ließen darauf schließen, dass sie gesund und körperlich fit war. Sie trug eine Brille mit breitem Kunststoffrahmen, was unangenehme Erinnerungen an die Aprikoseneisfrau wachrief, ein langes schwarzes T-Shirt, das an mehreren Stellen zerrissen war, und einen schwarzen Gürtel mit Metallketten. Zum Glück war die Schmuckfrage eliminiert worden, denn sie trug große metallene Ohrringe und einen interessanten Anhänger um den Hals.
    Obwohl ich normalerweise nicht auf Kleidung achte, entsprach ihre nicht meiner Erwartung bei einer hochqualifizierten Akademikerin oder anderweitig Angestellten bei Sommerwetter. Ich konnte nur vermuten, dass sie selbständig war oder im Urlaub und ihre Kleidung, befreit von den Regeln ihres Arbeitsplatzes, willkürlich ausgewählt hatte. Damit konnte ich mich identifizieren.
    Es herrschte einige Zeit Stille, und ich dachte, ich sei wohl an der Reihe, etwas zu sagen. Ich löste meinen Blick von ihrem Anhänger, blickte auf und erinnerte mich an Genes Instruktionen.
    »Wie wäre es, wenn wir heute Abend essen gingen?«
    Sie wirkte überrascht und antwortete: »Ja, genau. Wie wäre es, wenn wir essen gingen? Wie wäre es mit
Le Gavroche
, und Sie

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