Das Rosie-Projekt
ganzen Hummersalat auf. Dann öffnete Rosie ihre Handtasche … und zog ein Päckchen Zigaretten hervor! Wie soll ich mein Entsetzen beschreiben? Nicht nur, dass Rauchen an sich ungesund und für alle in unmittelbarer Nähe gefährlich ist. Es zeugt eindeutig von einer unvernünftigen Lebenseinstellung. Nicht ohne Grund hatte ich es als ersten Punkt auf meinen Fragebogen gesetzt.
Rosie musste meine Panik bemerkt haben. »Entspannen Sie sich. Wir sind doch draußen.«
Es bestand keine Notwendigkeit zu diskutieren. Nach dem heutigen Abend würde ich Rosie nie wiedersehen. Das Feuerzeug flammte auf, und sie hielt es an die Zigarette zwischen ihren künstlich geröteten Lippen.
»Übrigens habe ich eine Frage zu Genetik«, sagte sie.
»Fahren Sie fort.« Das brachte mich wieder auf vertrautes Terrain.
»Mir wurde erzählt, man könne an der Größe der Hoden erkennen, ob jemand monogam sei.«
Die sexuellen Aspekte der Biologie sind regelmäßig Thema der Boulevardpresse, deshalb war diese Aussage nicht ganz so dumm, wie sie erscheinen mochte, auch wenn sie auf einem typischen Missverständnis beruhte. Mir fiel ein, dass es auch irgendein Code für eine sexuelle Annäherung sein könnte, doch ich entschied, auf Nummer Sicher zu gehen und die Frage wörtlich zu nehmen.
»Lächerlich«, erwiderte ich also.
Rosie schien mit meiner Antwort sehr zufrieden.
»Sie sind ein Schatz«, sagte sie. »Gerade habe ich eine Wette gewonnen.«
Dann führte ich die Sache weiter aus und merkte, dass Rosies Ausdruck der Zufriedenheit verschwand. Ich schätzte, dass sie ihre Frage zu sehr vereinfacht hatte und es tatsächlich die detaillierte Erklärung war, die sie gehört hatte.
»Es mag eine gewisse Korrelation auf individueller Ebene geben, aber die Regel gilt für den Vergleich verschiedener Spezies. Der Homo sapiens ist im Wesentlichen monogam, aus taktischen Gründen jedoch untreu. Die Männchen profitieren davon, so viele Weibchen wie möglich zu befruchten, aber sie können nur einen Satz Nachkommen versorgen. Weibchen suchen für ihre Kinder die maximale Qualität an Genen plus ein Männchen, das sie versorgt.«
Ich wollte gerade in die mir vertraute Rolle des Dozenten schlüpfen, als Rosie unterbrach.
»Was ist mit den Hoden?«
»Größere Hoden produzieren mehr Sperma. Monogame Spezies benötigen nur so viel, wie für die Partnerin nötig ist. Menschen brauchen mehr, um die sich zufällig ergebenden Gelegenheiten zu nutzen und um das Sperma vorheriger Eindringlinge verdrängen zu können.
»Nett«, meinte Rosie.
»Eigentlich nicht. Dieses Verhalten entwickelte sich in der Umgebung unserer Ahnen. In der modernen Welt sind zusätzliche Regeln notwendig.«
»Yeah«, sagte Rosie. »Zum Beispiel, dass man für seine Kinder da ist.«
»Korrekt. Aber Instinkte spielen eine immense Rolle …«
»Das können Sie laut sagen.«
Ich erhob meine Stimme. »Instinkt ist ein Ausdruck von …«
»Das war rhetorisch gemeint«, unterbrach Rosie. »Ich habe es erlebt. Meine Mutter hat auf der Abschlussfeier ihres Medizinstudiums eine sich zufällig ergebende Gelegenheit genutzt.«
»Solch ein Verhalten geschieht meist unbewusst. Menschen sind sich nicht darüber im Klaren, dass …«
»Ich hab’s verstanden.«
Das bezweifelte ich. Nicht-Wissenschaftler neigen zu Fehldeutungen der Evolutionspsychologie. Aber die Geschichte klang interessant.
»Sie sagen also, Ihre Mutter hatte ungeschützten Sex außerhalb ihrer bestehenden Beziehung?«
»Mit einem anderen Doktoranden, ja«, antwortete Rosie. »Während sie mit meinem …«, hier hob Rosie die Hände und bewegte ihre beiden Zeige- und Mittelfinger zweimal kurz nach unten, »… Vater zusammen war. Mein richtiger Vater ist ein Arzt. Ich weiß nur nicht, welcher. Das kotzt mich wirklich an.«
Diese Handbewegung faszinierte mich, und ich schwieg eine Weile, um ihren Sinn zu ergründen. War es ein Zeichen von Unmut gewesen, weil sie ihren richtigen Vater nicht kannte? Wenn ja, so hatte ich diese Geste noch nie gesehen. Und warum hatte sie gerade diesen Moment gewählt, um ihren Unmut zu bekunden … natürlich! Als Satzzeichen!
»Anführungszeichen«, sagte ich laut, als es mir aufging.
»Was?«
»Sie haben Anführungszeichen um ›Vater‹ gesetzt, um darauf hinzuweisen, dass das Wort nicht die übliche Bedeutung hat. Sehr clever.«
»Sie sind ja echt ein Einstein«, kommentierte Rosie. »Und ich dachte schon, Sie denken vielleicht über das kleine Problem nach, das
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