Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Rosie-Projekt

Das Rosie-Projekt

Titel: Das Rosie-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graeme Simsion
Vom Netzwerk:
fragte mich, ob wir mal stöbern könnten.
    »Du musst nicht fragen«, erwiderte ich. »Du hast das Kommando.«
    »Bei Geschäften mach ich das automatisch. Das ist so ein Mädchending. Und eigentlich wollte ich sagen: ›Ich nehme an, dass du schon auf der Fifth Avenue gewesen bist‹, aber bei dir nehme ich rein gar nichts an.«
    Dasselbe konnte ich von ihr sagen. Ich wusste, es war besser, auch bei Rosie nichts Bestimmtes vorauszusetzen, sonst hätte ich mich gewundert, dass sie sich selbst als »Mädchen« bezeichnete. Ich hatte gedacht, dieser Terminus sei für erwachsene Feministinnen absolut inakzeptabel.
    Rosie war bemerkenswert feinfühlig geworden, was mich betraf. Ich kannte von New York nichts außer den Konferenzzentren und dem Museum, aber mit meiner neuen Gehirnkonfiguration fand ich alles faszinierend. Ein ganzes Geschäft nur für Zigarren. Die Preise für Schmuck. Das Flatiron Building. Das Sexmuseum. Letzteres betrachtete Rosie von außen und entschied, nicht hineinzugehen. Das war mit Sicherheit eine gute Entscheidung – bestimmt wäre es faszinierend gewesen, aber das Risiko für Fettnäpfchen lag extrem hoch.
    »Willst du irgendetwas kaufen?«, fragte Rosie.
    »Nein.«
    Ein paar Minuten später kam mir doch eine Idee. »Gibt es hier irgendwo ein Geschäft, das Männerhemden verkauft?«
    Rosie lachte. »Auf der Fifth Avenue in New York City? Hm, mal sehen, ob wir Glück haben.« Ich erkannte einen Hauch Sarkasmus, aber der freundlichen Art. In einem großen Geschäft namens
Bloomingdale’s
, das aber nicht an der Fifth Avenue lag, fanden wir ein ganz ähnliches Hemd wie das von Claudia. Wir konnten uns nicht zwischen zwei Hemden entscheiden und kauften beide. Meine Garderobe würde überquellen!
    Dann erreichten wir den Central Park.
    »Wir lassen das Mittagessen ausfallen, aber ich hätte Lust auf ein Eis«, sagte Rosie. Im Park stand ein Eisverkäufer, und er verkaufte sowohl Waffeln als auch Eis am Stiel.
    Mich überkam ein irrationales Gefühl von Furcht, das ich sofort identifizierte. Aber ich musste es wissen. »Ist die Geschmacksrichtung wichtig für dich?«
    »Irgendwas mit Erdnüssen. Schließlich sind wir in Amerika.«
    »Aber alle Eissorten schmecken gleich.«
    »Blödsinn.«
    Ich erklärte das mit den Geschmacksnerven.
    »Wollen wir wetten?«, meinte Rosie. »Wenn ich den Unterschied zwischen Erdnuss und Vanille schmecke, kaufst du zwei Eintrittskarten für
Spiderman
. Am Broadway. Heute Abend.«
    »Die Konsistenz wird anders sein. Wegen der Erdnüsse.«
    »Dann zwei andere. Du darfst wählen.«
    Ich bestellte eine Kugel Aprikose und eine Mango. »Mach die Augen zu«, sagte ich, was eigentlich nicht nötig war, weil die Farben fast identisch aussahen. Aber ich wollte nicht, dass Rosie mitbekam, wie ich eine Münze warf, um die Reihenfolge zu bestimmen. Ich hatte Angst, sie könnte meine Wahl sonst mit ihren psychologischen Fähigkeiten irgendwie durchschauen.
    Ich warf die Münze und gab ihr eine der Eiswaffeln.
    »Mango«, riet Rosie, was richtig war. Münze, wieder Kopf. »Wieder Mango.« Sie ordnete Mango dreimal richtig zu, dann Aprikose, dann wieder Aprikose. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie nur zufällig richtig tippte, lag bei eins zu zweiunddreißig. Ich konnte also zu siebenundneunzig Prozent sicher sein, dass sie den Unterschied tatsächlich schmeckte. Unfassbar.
    »Also,
Spiderman
heute Abend.«
    »Nein, du hast dich einmal vertan.«
    Rosie musterte mich eingehend, dann begann sie zu lachen. »Du verarschst mich, oder? Ich kann’s nicht glauben, du machst tatsächlich Witze!«
    Sie gab mir eine Waffel. »Da es dir ja egal ist, kannst du Aprikose haben.«
    Ich betrachtete das Eis. Was sollte ich sagen? Sie hatte daran geleckt.
    Und wieder konnte sie meine Gedanken lesen. »Wie willst du ein Mädchen küssen, wenn du nicht mal an ihrem Eis lecken magst?«
    Einige Minuten lang durchströmte mich das irrationale Gefühl höchster Freude, während ich mich in dem Erfolg meines Witzes sonnte und gleichzeitig den Satz mit dem Kuss analysierte:
Ein
Mädchen küssen, an
ihrem
Eis lecken … das war jeweils die dritte Person, aber sicher nicht ohne Bezug zu dem Mädchen, das in diesem Moment sein Eis mit Don Tillmann teilte, der an einem sonnigen Sonntagnachmittag in seinem neuen Hemd und seiner neuen Jeans mit ihr zwischen den Bäumen des Central Park in New York City spazierte.
     
    Die hundertundvierzehn Minuten Auszeit im Hotel konnte ich gut gebrauchen, auch wenn ich den Tag

Weitere Kostenlose Bücher