Das Rosie-Projekt
das hilft.«
»Claudia sei Lob und Dank«, sagte Rosie. »Sie hat sich das Tuch verdient.«
»Wir kommen zu spät.«
»Höfliches Zuspätkommen ist in Ordnung.«
Isaac und Judy Esler hatten eine Wohnung in Williamsburg. Meine US -Handykarte funktionierte einwandfrei, und wir konnten per GPS zur richtigen Adresse navigieren. Ich hoffte, dass sechsundvierzig Minuten Rosies Definition von »höflichem Zuspätkommen« entsprachen.
»Austin, denk dran«, sagte Rosie, als sie an der Tür klingelte.
Judy öffnete. Ich schätzte sie auf fünfzig und ihren BMI auf sechsundzwanzig. Sie sprach mit New Yorker Akzent und hatte sich bereits Sorgen gemacht, dass wir uns vielleicht verlaufen hätten. Ihr Mann Isaac war die Karikatur eines Psychiaters: Mitte fünfzig, klein, Stirnglatze, schwarzer Ziegenbart, BMI von neunzehn. Er war nicht so freundlich wie seine Frau.
Sie boten uns Martinis an. Ich dachte an die Wirkung dieses Drinks bei der Vorbereitung auf die Große Cocktailnacht und beschloss, nicht mehr als drei zu trinken. Judy hatte ein paar Vorspeisenhäppchen mit Fisch vorbereitet und erkundigte sich nach unserer Reise. Sie wollte wissen, ob wir schon einmal in New York gewesen seien, welche Jahreszeit in Australien herrsche (keine besonders anspruchsvolle Frage) und ob wir etwas Bestimmtes einkaufen oder Museen besuchen wollten. Rosie beantwortete all ihre Fragen.
»Isaac fliegt morgen ganz früh nach Chicago«, gab Judy bekannt und sah zu ihrem Mann. »Erzähl mal, was du da machst.«
»Nur eine Konferenz«, sagte Isaac. Er und ich brauchten zur Unterhaltung nicht viel beizutragen.
Bevor wir ins Esszimmer wechselten, stellte er mir allerdings eine Frage. »Was machen Sie so, Austin?«
»Austin hat eine Eisenwarenhandlung«, antwortete Rosie. »Die sehr gut läuft.«
Judy servierte eine köstliche Mahlzeit mit gezüchtetem Lachs, der, wie sie Rosie versicherte, nachhaltig produziert worden sei. Ich hatte sehr wenig von dem qualitativ minderwertigen Flugzeugessen zu mir genommen und genoss Judys Essen sehr. Isaac öffnete einige Pinot Gris aus Oregon und füllte mein Glas großzügig immer wieder auf. Wir sprachen über New York und die Unterschiede zwischen australischer und amerikanischer Politik.
»Tja«, meinte Judy dann, »ich bin sehr froh, dass Sie uns besuchen gekommen sind. Das tröstet ein bisschen darüber hinweg, dass wir nicht zur Jubiläumsfeier kommen konnten. Isaac war sehr traurig, dass er sie verpasst hat.«
»Eigentlich nicht«, sagte Isaac. »Die Vergangenheit wiederaufleben zu lassen ist nichts, das man leichtfertig tun sollte.« Er aß seinen letzten Bissen Fisch und sah Rosie an. »Sie sehen Ihrer Mutter sehr ähnlich. Als ich sie das letzte Mal sah, war sie nur wenig jünger als Sie jetzt.«
»Wir haben am Tag nach der Abschlussfeier geheiratet und sind hierhergezogen«, erzählte Judy. »Isaac hatte es ordentlich krachen lassen – auf der Hochzeit hatte er einen schrecklichen Kater.« Sie lächelte.
»Ich denke, das reicht an alten Geschichten, Judy«, sagte Isaac. »Das ist alles sehr lange her.«
Er starrte Rosie an. Rosie starrte zurück.
Judy nahm Rosies und meinen Teller, in jede Hand einen. Ich entschied, dies sei der rechte Moment zum Handeln, stand auf und nahm Isaacs und Judys Teller. Isaac war durch sein Anstarrspiel zu beschäftigt, um zu protestieren. Ich brachte die Teller in die Küche und nahm auf dem Weg einen Abstrich von Isaacs Gabel.
»Ich kann mir vorstellen, dass Austin und Rosie ganz erschöpft sind«, sagte Judy, als wir zum Tisch zurückkehrten.
»Sie sagten, Sie seien im Eisenwarenhandel tätig, Austin?« Isaac stand auf. »Könnten Sie wohl fünf Minuten erübrigen, um sich einen Wasserhahn anzusehen? Wahrscheinlich muss da ein Klempner ran, aber vielleicht liegt es auch nur an der Dichtung.«
Isaac und ich stiegen die Treppe in den Keller hinunter. Ich war sicher, ein Problem mit einem Wasserhahn beheben zu können. In den Schulferien hatte ich oft Arbeiten dieser Art verrichtet. Doch als wir das Ende der Treppe erreichten, ging das Licht aus. Ich wusste nicht, was passiert war. Ein Kurzschluss?
»Alles okay, Don?«, fragte Isaac mit besorgter Stimme.
»Alles okay«, antwortete ich. »Was ist passiert?«
»Sie haben auf Don geantwortet, Austin, das ist passiert.«
Wir standen im Dunkeln. Ich bezweifelte, dass es gesellschaftliche Konventionen für die Befragung durch Psychiater in dunklen Kellern gab.
»Woher wussten Sie es?«, fragte
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