Das rote Band
prompt.
„Aber Blauweizen macht deine Bauern nicht satt!“, rief Eloïse. „Was ist, wenn der Anbau misslingt? Willst du deine Leute mit einem Fünftel Hafer über den Winter bringen?“
Victorian machte eine lässige Handbewegung. „Im Fall einer Missernte kaufe ich eben ausreichend Weizen und Hafer für sie auf dem Markt, so einfach ist das!“
„Und wenn du dafür kein Geld hast?“
Er öffnete den Mund, doch Eloïse war schneller. „Du bist der Grundherr, Victorian! Du musst in Notzeiten deine Bauern versorgen können, sonst laufen sie dir weg. Und Land ohne Menschen, die es bearbeiten, ist wertlos! Und am Ende stehst du selbst auf dem Acker.“ Ihre Augen schwammen in Tränen, und sie wandte sich ab, damit er es nicht bemerkte.
Es dauerte einen Moment, bevor Victorian antwortete. „Möglicherweise könnte man meinen Vorschlag noch etwas korrigieren“, erwiderte er großzügig.
Eloïse nickte und nahm sich ein Stück Papier, das Lord Tennison ihnen zum Niederschreiben ihrer Ergebnisse auf den Tisch gelegt hatte. Mit wenigen Strichen zeichnete sie die Burg und die Felder nach, die der Agrarkundelehrer skizziert hatte. Allerdings wies ihre Festung zusätzlich Erker, eine Wetterfahne und Kletterrosen auf.
„Du zeichnest gut.“ Victorian schien ehrlich beeindruckt.
Verlegen schaute sie ihn an. Malen und Zeichnen hatte ihr schon immer große Freude bereitet, und es war der einzige Bereich, in dem sie von ihren Gouvernanten jemals Lob erhalten hatte. „Menschen zu zeichnen, liegt mir mehr“, erwiderte sie bescheiden.
Interessiert blickte er sie an, und statt einer Erwiderung drehte Eloïse das Papier um, und ihr Federkiel sauste über das Blatt. Kurz darauf zeigte sie Victorian das Ergebnis – es war sein Porträt.
Er runzelte die Stirn. „Schaue ich wirklich so ernst?“
„Allerdings“, antwortete Eloïse. „Ich habe dich noch nie lachen sehen.“
„Oh.“ Seine Mundwinkel hoben sich leicht. „Besser?“
Eloïse nahm erneut das Blatt und begann, ein zweites Bild von ihm neben das erste zu zeichnen. Als es fertig war, hielt sie das Papier hoch. „Das muss für die Ewigkeit festgehalten werden – als Beweis“, erklärte sie. „Nagel es an deine Schlafzimmertür, damit du ab jetzt daran denkst, ein freundliches Gesicht zu machen, wenn du den Raum verlässt.“
Sie lächelte ihn an, doch Victorian riss ihr das Blatt aus der Hand, stand auf und ging wortlos aus dem Unterrichtssaal.
„Victorian!“, rief Eloïse und sah ihm entsetzt nach. „Das … das war doch nur ein Spaß!“
„Er versteht keinen Spaß. Das ist sein größtes Problem.“ Raine war zu ihr getreten und stützte sich mit den Händen auf ihren Tisch.
Lord Tennison sah sie mit strenger Miene an, bevor er die Stunde beendete und die jungen Männer in die Mittagspause entließ.
„Kommst du mit mir zu Tisch, Korin?“, fragte Raine. „Seine Gnaden wird sicherlich nicht mit dir speisen wollen.“
Eloïse nickte und erhob sich. „Warum kannst du Victorian nicht leiden? Hat das einen besonderen Grund?“
Raines grüne Augen blitzten. „Das erzähle ich dir beim Essen.“
In der großen Halle blieb Raine vor dem Tisch stehen, an dem Harper saß. Eloïse erstarrte, doch der Student mit dem rotblonden Haar stand auf und schlug ihr mit seiner prankenhaften Hand auf die Schulter.
„Entschuldigung wegen gestern, Korin. Ich war wütend.“ Harper sah an ihr herunter. „Du bist zwar ein Milchbart, aber nicht auf den Mund gefallen, das gefällt mir.“
Erleichtert ließ sich Eloïse zusammen mit den beiden Männern auf der Bank nieder. Damit hatte sich ihr zweites Gespräch erübrigt, das Problem mit Harper war gelöst!
„Korin will wissen“, erklärte Raine Harper, „warum Victorian jedes Mal fast Feuer spuckt, wenn er mich sieht.“ Er spießte mit seinem Messer ein Stück Fleisch von der Servierplatte auf und steckte es direkt in den Mund.
„Ist auch unerhört von dir, Raine, dich ausgerechnet in Greystone herumzutreiben, wenn Victorian of Walraven die Akademie mit seiner Anwesenheit beehrt“, antwortete sein Freund grinsend. „Warum auch immer er hier sein mag“, fügte er nachdenklich hinzu und goss allen Wein in die Becher ein.
„Walraven liegt an der Südküste von Telamen“, begann Raine seine Erzählung. „Der Duke kontrolliert in seinem Einzugsbereich den gesamten Warenverkehr auf dem Festland und auf See, deshalb ist die Familie Walraven so reich. Zu den ursprünglichsten Pflichten der Dukes
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