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Das rote Band

Das rote Band

Titel: Das rote Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dana Graham
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seiner Mitstudenten eingebunden zu sein. Er erweckte viel eher den Eindruck, dass er keinesfalls von ihnen angesprochen zu werden wünschte.
    Victorian ist absolut selbstzufrieden , dachte Eloïse. Oder das genaue Gegenteil , schoss es ihr plötzlich durch den Kopf. Sie erinnerte sich daran, wie sie bei ihrer Großtante wegen ihrer Größe das Opfer von Spott und Ausgrenzung gewesen war. Am Anfang hatte sie noch versucht, die Freundschaft der anderen Mädchen zu erringen. Doch stets war sie damit auf jämmerliche Art gescheitert und hatte sich hinterher nur noch verletzter gefühlt. Am Ende hatte sie sich entschieden, die Gemeinheiten zu überhören und sich nicht anmerken zu lassen, wie weh sie ihr taten – in der Hoffnung, die anderen würden sie bald in Ruhe lassen. Vielleicht ging es Victorian aus irgendeinem Grund genauso, überlegte Eloïse, und wunderte sich gleich darauf über ihre Gedanken. Ach was, er war einfach nur überheblich! Trotzdem musste sie sich bei ihm für seine Hilfe bedanken. Er würde sie schon nicht gleich umbringen, wenn sie ihn ansprach.
    Sie stand auf und näherte sich seinem Platz. Nervös blieb sie neben ihm stehen, doch er schien sie nicht zu bemerken. „Victorian?“, fragte sie leise, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.
    Er wandte den Kopf zu ihr und sah sie aus kalten blauen Augen an.
    Eloïse räusperte sich. „Victorian“, nahm sie all ihren Mut zusammen. „Ich möchte mich bei dir bedanken, weil du gestern in der Waffenhalle …“ Verdammt, musste er sie so anstarren? „… also, weil du mir helfen wolltest, weil ich … Ich meine, es war ja meine Schuld, weil ich wieder meinen Mund nicht halten konnte, aber trotzdem …“ Dieser Blick brachte sie vollkommen aus der Fassung! Sie kam sich vor wie das Kaninchen vor der Schlange.
    „Ich nehme deinen Dank zur Kenntnis“, erwiderte er, und drehte den Kopf wieder nach vorne.
    „Oh … ja, das ist nett“, stammelte Eloïse. Sie war erleichtert, das Gespräch mit ihm – wenn man es überhaupt so nennen konnte –, überstanden zu haben. Plötzlich merkte sie, dass die Unterhaltungen im Unterrichtsraum verebbt waren. Verwirrt sah sie sich um. Lord Tennison, der Agrarkundelehrer, stand am Pult. „Entschuldigung“, sagte sie in Richtung des Lehrers und wollte zu ihrem Platz zurückgehen.
    „Nein, Korin, bleibt bei Victorian“, erwiderte Lord Tennison. „Ihr könnt die Aufgaben in dieser Stunde gemeinsam durchführen.“
    Eloïse stöhnte lautlos. Eine Stunde Zusammenarbeit mit Victorian, der genauso viel Wert auf ihre Gegenwart legte wie sie auf seine? Das durfte nicht wahr sein! Schicksalsergeben zog sie ihren Stuhl heran und setzte sich zu ihm an den Tisch. Das Kichern der anderen Studenten über ihr Los machte die Sache auch nicht besser. Und erst recht nicht Victorian, der sie mittlerweile mit undurchdringlicher Miene betrachtete.
    Lord Tennison, der in der Zwischenzeit eine Burganlage mit umliegendem Grundbesitz auf ein großes Stück Papier gezeichnet hatte, erklärte ihnen den Arbeitsauftrag. Sie sollten – jeweils zu zweit – überlegen, wie die Ackerflächen am gewinnbringendsten genutzt werden könnten. „Ihr habt die heutige und morgige Unterrichtsstunde dafür Zeit“, teilte der Lehrer ihnen mit. „Bitte beginnt jetzt.“
    „Nun, da gibt es nichts zu diskutieren“, sagte Victorian. „Auf vier Fünftel der Felder wird Blauweizen gepflanzt, der Rest steht für Hafer zur Verfügung.“ Er richtete seinen Blick wieder zum Pult, als wäre die Aufgabe für ihn damit erledigt.
    „Was, bist du verrückt?“ Eloïse war dermaßen entsetzt von seinem Vorschlag, dass sie ihre Ablehnung ihm gegenüber völlig vergaß. „Das ist vollkommen leichtsinnig.“
    Victorian drehte sich ihr wieder zu und hob eine Augenbraue. „Könntest du deine Einwände auch begründen?“
    Sie schluckte. Er schien Widerspruch nicht gewohnt zu sein, aber sie war nicht bereit, kampflos aufzugeben – nicht bei einem Thema, das ihr so am Herzen lag! „Ganz einfach“, antwortete sie, „dein Plan vernachlässigt die Versorgung der Bauern.“
    „Ist das so?“, fragte er scharf. „Weißt du überhaupt, was Blauweizen ist?“
    „Natürlich!“ Hielt er sie für blöd? „Blauweizensaatgut ist sündhaft teuer, Blauweizenanbau verdammt kompliziert, und der Ertrag – gemessen am Aufwand – äußerst gering.“
    „Blauweizen ergibt ein hervorragendes Mehl, und die Handelspreise liegen in unglaublicher Höhe!“, entgegnete er

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