Das Rote Kornfeld
Zähnen.
«Das Schicksal meint es gut mit dir»», sagte Kommandant Yu.
«Mein ganzes Blut ist verströmt»», winselte Wang. «Ich kann nicht mehr.»»
«Quatsch!» rief Kommandant Yu. «Das ist doch nur ein Mückenstich. Hast du deine drei Söhne vergessen?»
Wang ließ den Kopf hängen und murmelte: «Nein, ich habe sie nicht vergessen.»
Er trug eine langläufige Vogelflinte mit blutrotem Kolben über der Schulter. Eine flache Pulverbüchse aus Metall hing ihm an der Hüfte.
Letzte kleine Nebelschwaden wehten durch die Hirsefelder. Der Kies zeigte keine Spuren von Menschen oder Tieren. Die dichten Hirsewände neben der verlassenen Landstraße und die widernatürliche Situation, in der sie sich befanden, ließ die Männer ahnen, dass ein Verhängnis in der Luft lag. Vater hatte von Anfang an gewusst, dass Kommandant Yus Trupp nicht stärker als vierzig Mann war, selbst wenn man die Tauben, die Stummen, die Hinkenden und die Krüppel mitzählte. Aber solange sie im Dorf im Quartier lagen, hatten sie unter dem Gegacker der Hühner und Bellen der Hunde so viel Lärm gemacht, dass man sie für ein ganzes Garnisonskommando hätte halten können.
Draußen auf der Landstraße rückten die knapp vierzig Mann so eng auf, dass sie einer träge ruhenden Schlange glichen. Ihre bunt zusammengewürfelte Waffensammlung bestand aus Schrotflinten, Vogelbüchsen, alten Hanyang-Gewehren und einer Revolverkanone, die von zwei Brüdern namens Fang Sechs und Fang Sieben getragen wurde. Der Stumme trug einen Rechen mit sechsundzwanzig Metallzinken. Drei weitere Soldaten trugen ähnliche Waffen. Vater wusste immer noch nicht, was ein Hinterhalt war, und selbst wenn er es gewusst hätte, es wäre ihm schleierhaft geblieben, warum man dazu vier Rechen mitnahm.
2
In die Gemeinde Nordost-Gaomi bin ich zurückgekehrt, um eine Chronik meiner Familie zu schreiben, nicht zuletzt auch über das berühmte Gefecht am Ufer des Schwarzwasserflusses, in dem mein Vater gekämpft und in der ein japanischer General den Tod gefunden hat. Eine Zweiundneunzigjährige aus dem Dorf sang mir ein Lied:
«Nordöstlich von Gaomi
Männer ohne Zahl
Am Schwarzwasserfluss die Schlacht begann
Yu, der tapfere Krieger,
hob dort die Hand
und die Kanonen donnerten laut
Die Teufel von jenseits des Meeres
stürzten, und keiner stand je wieder auf
Die schönste der Frauen,
die Heldin Dai Fenglian,
brachte Rechen aufs Schlachtfeld.
Der Japaner blieb stehn ...»
Die runzlige Greisin war so kahl wie ein Tontopf, und ihre rissigen Handrücken mit den vorspringenden Sehnen sahen aus wie Melonenschalen. Sie hatte das Herbstmassaker von 1939 nur überlebt, weil sie auf ihren entzündeten Beinen nicht laufen konnte und ihr Mann sie im Keller unter den Yamwurzeln versteckt hatte. Auch mit ihr hatte es das Schicksal gut gemeint. Die Dai Fenglian, von der sie sang, war meine Großmutter. Ich konnte meine Aufregung kaum unterdrücken, als ich ihr zuhörte, denn ihre Erzählung war der Beweis dafür, dass der Plan, den japanischen Konvoi mit Rechen aufzuhalten, von einer Angehörigen meiner Familie, einem Mitglied des schwachen Geschlechts, stammte. Als Pionierin des antijapanischen Widerstands verdiente es meine Großmutter, als Volksheldin gefeiert zu werden.
Als sie auf meine Großmutter zu sprechen kam, wurde die Greisin gesprächig. Ihre Erzählung war wirr und unstet wie Herbstlaub im Wind. Sie sagte, meine Großmutter habe die kleinsten Füße unter allen Frauen im Dorf und der Schnaps aus unserer Brennerei Nachwirkungen wie kein anderer gehabt. Der Faden der Erzählung glättete sich, als sie anfing, von der Landstraße von Jiao nach Pingdu zu sprechen: «Als die Straße bis hierher reichte ... die Hirse ging uns erst bis zur Hüfte ... Die Teufel holten alle Männer zur Zwangsarbeit ... Die Arbeit ging nicht voran ... Sabotage ... Sie nahmen deiner Familie die beiden großen schwarzen Maultiere weg ... Bauten eine steinerne Brücke über den Schwarzwasserfluss ... Luohan, der Leiter in eurem Betrieb ... Irgendetwas hatte er mit deiner Großmutter, jedenfalls haben das alle gesagt . ..ei, ei, ei! Als deine Großmutter jung war, ist sie vielen Versuchungen erlegen ... Dein Vater war ein tüchtiger Junge. Mit fünfzehn hat er seinen ersten Mann umgelegt. Aus acht oder neun von zehn Bastarden wird nichts ... Luohan hat den Maultieren die Vorderbeine gefesselt ... Die japanischen Schweine haben ihn erwischt und ihm die Haut abgezogen ... Die Japse
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