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Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung

Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung

Titel: Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel-Erasmus Khan
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bis heute seine Mononationalität behaupten. Bis 1923 rekrutierten sich seine Mitglieder sogar ganz ausschließlich aus einem noch viel engeren soziokulturellen Milieu, dem protestantisch, liberal-konservativen Genfer Patriziat. Diese außergewöhnliche Homogenität machte bis zum Ersten Weltkrieg jedes Programm oder Organisationsstatut überflüssig. Die im langjährigen Präsidenten Gustave Moynier und dessen Nachfolger Gustave Ador (seit 1910) verkörperte Genfer Tradition reichte für die Entscheidungsabläufe vollkommen aus. Die Aura höchster moralischer Autorität, welche die Mitglieder des Genfer Komitees umgab und die von der «offiziellen» Geschichtsschreibung der Organisation lange Zeit sorgsam gepflegt wurde, darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die Genfer selbstverständlich keine humanitären Übermenschen waren. Wie ihre Rotkreuzbrüder und -schwestern – Letztere gab es zur damaligen Zeit in Genf noch nicht – auf nationaler Ebene waren sie vielmehr mit all ihrenStärken, aber eben auch Schwächen ganz Kinder ihrer Zeit. Gustave Moynier etwa, der für nahezu vierzig Jahre wie kein anderer den «Geist der Menschenliebe» des Genfer Komitees verkörperte, war bereits seit Anfang der 1880er Jahre bis zu seinem Tod im Jahre 1910 ein begeisterter Protagonist der euphemistisch als «zivilisatorische Mission» deklarierten belgischen Kolonisation des Kongo. Ob er den 1899 veröffentlichten Roman «Herz der Finsternis» von Joseph Conrad gekannt hat, in dem die ebenso brutalen wie systematischen Exzesse der belgischen Kolonialherrschaft schonungslos offengelegt wurden? Möglicherweise wollte Moynier es auch nicht so genau wissen, denn die Verleihung der Würde eines Generalkonsuls des Kongofreistaates durch den belgischen König Leopold II. und der damit verbundene Aufstieg in den Diplomatenrang waren für ihn dann vielleicht doch ein zu bedeutender Schritt auf der sozialen Leiter.
2. Das Rote Kreuz vor seiner ersten großen Bewährungsprobe: Der Erste Weltkrieg (1914–1918)
    Das Komitee vor einer hoffnungslosen Aufgabe? Zu Beginn des Jahres 1914 «residierte» das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in zwei kleinen Räumen im Erdgeschoss eines Wohnhauses im Quartier des Tranchées, welches ab der Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Festungswällen des alten Genf entwickelt worden war: In der Rue de l’Athenée 3 waren Bibliothek und Archiv des Komitees untergebracht, hier oder auch in der schräg gegenüber gelegenen Stadtwohnung seines Präsidenten (Rue de l’Athenée 8) hielt es seine regelmäßigen Sitzungen ab. Nachdem das Komitee letztmalig während des Deutsch-Französischen Krieges mit bis zu 14 Beschäftigten über einen echten Mitarbeiterstab verfügt hatte, genügten diese bescheidenen Räumlichkeiten nun völlig. Drei große Kisten Material – vor allem der Baseler Agentur – waren die Hinterlassenschaft des Krieges von 1870/71. Die Materialien, die sich in den folgenden Jahrzehnten angesammelt hatten, waren überschaubar und über Mitarbeiter verfügte das Komitee schlichtweg überhaupt nicht mehr. Dies war die Ausgangssituation für die internationale Komponenteder Rotkreuzbewegung zu Beginn eines Konfliktes, an dem etwa 40 Staaten direkt oder indirekt beteiligt waren und in dem bis zu 70 Millionen Menschen unter Waffen standen. Der Einsatz neuartiger Technologien (Gaswaffen, Luftkrieg, Maschinengewehre, großkalibrige Geschütze mit einer ungeheuren Zerstörungskraft) und Strategien (Stellungs- und Grabenkrieg, Materialschlachten) sollte nicht nur unter den Soldaten Verluste in bislang unbekanntem Ausmaß fordern. Erstmals war auch die Zivilbevölkerung in signifikantem Maße unmittelbar vom Kriegsgeschehen betroffen. Was konnte ein damals aus neun Mitgliedern bestehender Genfer Honoratiorenverein im Angesicht dieser enormen Herausforderungen überhaupt leisten?
    Humanitäre Hilfe in patriotischem Geiste. Im Bereich der praktischen Sanitätshilfe gab es für das Komitee in der Tat nicht viel zu tun. Die nationalen Hilfsgesellschaften erwiesen sich von Anfang an sowohl in materieller als auch propagandistischer Hinsicht als zumeist effiziente und zunehmend unverzichtbare Bestandteile der Kriegsmaschinerie ihrer Heimatstaaten, im Kampfgebiet selbst ebenso wie auch an der «Heimatfront». «[M]it Aufbietung aller Kräfte, des letzten Mannes und der letzten Frau, weil es den Kampf um unsere Existenz gilt, weil wir das Erbe unserer Väter verteidigen müssen gegen

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