Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung
Initiative, nicht nur wegen ihres Inhalts, sondern vor allem wegen ihrer Form. In scharfen Worten («kriminelle Kriegführung») verurteilte das Komitee zu Beginn des Jahres 1918 den Einsatz der Gaswaffen. Es verzichtete dabei allerdings auf jede konkrete Schuldzuweisung, die wohl in erster Linie Deutschland hätte treffen müssen, das bereits 1915 erstmals in großem Maßstab das heimtückische Senfgas (Lost) eingesetzt hatte. Vor allem deswegen erntete dieser Appell erhebliche Kritik und Unverständnis, sollte aber für die Art und Weise des Vorgehens des Komitees ebenfalls zukunftsweisend sein: Allein um die humanitäre Sache sollte es gehen,Schuldzuweisungen waren da wenig hilfreich, ja ganz im Gegenteil zumeist kontraproduktiv.
3. Das Rote Kreuz in Zeiten struktureller und inhaltlicher Neuausrichtung (1919–1929)
Nie wieder Krieg. Die schon früh von Friedrich Engels für den Fall eines großen Krieges prophezeite tiefgreifende Umwälzung der sozialen und politischen Ordnung Europas war eingetreten. Aber nicht nur das. Die traumatische Erfahrung des Ersten Weltkrieges hatte auch die bis dahin ganz unangefochtene Doktrin, wonach der Krieg ein legitimes Mittel nationaler Politik sei, radikal in Frage gestellt. Das belächelte Motto kleiner pazifistischer Gruppen («Nie wieder Krieg») war zu einem zentralen Punkt auf der Agenda nationaler und internationaler Politik geworden. Ein kollektives Sicherheitssystem sollte das Instrument zur «Förderung der Zusammenarbeit unter den Nationen und zur Gewährleistung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit» sein – so die Formulierung der Präambel der Satzung des Völkerbundes, des 1920 geschaffenen Vorläufers der heutigen Weltorganisation (UNO).
Gründung der Rotkreuzliga. Diese Entwicklungen konnten auch für die Rotkreuzbewegung nicht folgenlos bleiben. Wo war der Platz einer ursprünglich ganz dem Wirken im Krieg gewidmeten Organisation in dauerhaft friedlichen Zeiten, so wie sie damals erwartet oder doch zumindest erhofft wurden? War das lockere, gelegentlich rivalisierende, oft genug aber auch feindselige Nebeneinander der Mitglieder der Rotkreuzbewegung noch die richtige Organisationsform in einer vom Geist zwischenstaatlicher Kooperation geprägten Zeit? Radikale Veränderungen waren in der Tat vonnöten, sollte die Bewegung nicht in der Bedeutungslosigkeit versinken. Bereits am 5. Mai 1919 wurde in Paris als eine Art Dachverband der nationalen Gesellschaften die «Liga der Rotkreuzgesellschaften» gegründet. Diese trägt seit 1991 den Namen «Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften». Um die vielfältigen Aktivitätender nationalen Gesellschaften effektiver unterstützen und koordinieren zu können, sollte der bis dahin im Wesentlichen nur durch die Rundschreiben des IKRK sowie eine sporadische Kontaktpflege auf den Rotkreuzkonferenzen locker zusammengehaltene Verbund damit eine feste institutionelle Struktur erhalten. Die Mitgliedschaft in der Liga sollte dabei zunächst allein den Gesellschaften der Siegerstaaten offenstehen, eine Beschränkung, die aber sehr bald aufgegeben wurde, stand sie doch in eklatantem Widerspruch zu zentralen Grundsätzen der Rotkreuzbewegung (Gleichberechtigung und Universalität). Seit 1922 hatte die Liga ihren Sitz in Paris, dort, wo ursprünglich auch einmal das Internationale Komitee angesiedelt werden sollte. Man mag dies als einen symbolischen Schritt der Emanzipation und Abgrenzung vom IKRK werten. Bei Kriegsausbruch 1939 jedenfalls kehrte die Liga nach Genf zurück und ist dort bis heute ansässig.
Die Initiative zur Gründung der Liga war – ganz ähnlich und parallel zu der von US-Präsident Woodrow Wilson angeregten Gründung des Völkerbundes – von einem Amerikaner ausgegangen: Henry Pomeroy Davison, Vorsitzender des «War Council» des Amerikanischen Roten Kreuzes. Die exzellenten Kontakte dieses Mannes zum Weißen Haus in Washington sind wohl auch die Erklärung dafür, dass dem Roten Kreuz ein ganzer von insgesamt nur 26 Artikeln der Völkerbundsatzung gewidmet ist:
«Die Bundesmitglieder verpflichten sich, die Einrichtung und das Zusammenarbeiten anerkannter freiwilliger nationaler Organisationen des Roten Kreuzes zur Hebung der Gesundheit, die Verhütung von Krankheiten und die Milderung der Leiden der Welt zu fördern und zu begünstigen.» (Art. 25).
Inhaltliche Neuausrichtung. Ganz im Sinne der friedlich-kooperativen, gelegentlich gar
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