Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
für Sie gesorgt werden kann und Arbeit getan werden muss.»
«Wahrscheinlich haben Sie recht, Lina. Ich werde es mir überlegen. Und ich werde Hans sagen, wenn er Sie noch einmal abweist, entlasse ich ihn.» Er lächelte, und für einen Moment blitzte ein wenig von dem alten Cornelius von Sannberg hervor. «Sie tun mir gut, meine Liebe. Mein Leben würde eindeutig sonniger sein, wenn mehr von Ihrem klaren Verstand und Ihrer nüchternen Betrachtungsweise darin wäre. Wie denken Sie darüber?»
Lina war überrascht. Sie wusste diese Äußerung nicht recht einzuordnen. Dass er ihre Klugheit schätzte, war ihr schon lange klar. Aber sie hatte nie so weit gedacht, dass er an ihr als Frau interessiert sein könnte, und sie schob diesen Gedanken auch rasch weit weg.
«Dann sollten Sie sich um diese Eigenschaften bemühen, lieber Cornelius», sagte sie mit einem ironischen Lächeln und ließ den verblüfften Baron zurück.
Das Gespräch mit dem Baron hatte Lina zu denken gegeben. Nicht nur dieser merkwürdige Satz am Ende ihres Besuchs, mehr noch die Dinge, die sie über Wienhold und von Müller erfahren hatte. Ein alter geheimer Orden, älter als die Freimaurer vielleicht, und die beiden gehörten ihm an. Sie überlegte, ob sie Pater Johannes aufsuchen sollte, aber sie war über ihre letzte Begegnung immer noch so beunruhigt, dass sie den Gedanken verwarf. Außerdem würde in weniger als einer Stunde Hermine Willmuth, die Frau eines Metzgers, der seinen Laden in der Neustadt hatte, kommen, um ihre geänderten Kleider anzuprobieren.
Frau Willmuth war eine der wenigen Kundinnen, die gar kein neues Kleid, sondern nur Änderungen bei Lina bestellt hatten. Lina hatte den Eindruck, dass sie nur wenig Geld besaß, obwohl der Laden ihres Mannes einen sehr guten Ruf genoss.
Bei der Anprobe stellte sich heraus, dass die geänderten Kleider perfekt saßen. Lina hatte neue moderne Ärmel genäht und ein paar dezente Farbakzente gesetzt.
Den letzten Thaler zählte ihr Frau Willmuth in Silbergroschen und Pfennigen auf die Hand. «Ich hätte Ihnen gern noch etwas extra gegeben, Fräulein Kaufmeister. Aber leider kann ich das nicht. Unser Laden läuft gar nicht gut in den letzten Monaten.»
Als sie ging, hatte sie Tränen in den Augen.
«Die Ärmste!» Lina hatte ihre Kundin noch bis an die Haustür begleitet und steckte nun ihren Kopf in Claras leeren Laden. «Sie scheint in Geldschwierigkeiten zu sein.»
«Kein Wunder», sagte Clara. «Erinnern Sie sich? Im Frühjahr hatten zwei Schiffer eine Wurstvergiftung und wären beinahe gestorben. Es war Willmuths Wurst.»
«Davon habe ich gar nichts gehört.»
«Oh, das war … als Ihr Bruder …» Clara kam hinter der Theke vor. «Es sprach sich in Windeseile herum. Und dann sind die meisten nicht mehr zu Willmuth gegangen, sondern zu Metzger Jung.»
«Hat denn einer nachgeprüft, ob es wirklich Willmuths Wurst war?»
«Die Schiffer sagten, dass sie die Wurst dort gekauft hätten.» Clara zog Lina zu einem Regal. «Schauen Sie mal. Ist der nicht prächtig?»
Es war ein zartblauer Jacquard-Seidenstoff mit dünnen cremeweißen Streifen, auf die kleine Blüten, Vergissmeinnicht, aufgedruckt waren.
«Wunderschön!»
«Und zusammen mit diesen hier», Clara deutete auf weitere Seidenstoffe in verschiedenen Blau- und Weißtönen, «können Sie die schönsten Kleider der Stadt zaubern.»
Es war der erste Tag seit langem, an dem Lina nichts zu tun hatte. Dies war kein Grund zur Sorge, schon in der nächsten Woche hatte sie einen Termin bei den von Eickens. Sie hatte es kaum glauben wollen, als der Hausdiener die Note mit der Einladung vorbeibrachte. Die erste Familie der alteingesessenen guten Ruhrorter Gesellschaft bestellte etwas bei ihr.
So hatte sie bis zum Einbruch der Dunkelheit in ihrem Wohnzimmer gesessen und gelesen. Zufrieden genoss sie den freien Tag ganz ohne Arbeit. Nicht einmal an einem Sonntag in der Carlstraße hatte sie so wenig getan.
Sie hatte sich schon entkleidet und saß nun im Nachthemd vor dem Waschtisch und bürstete ihr Haar.
Schon die ganze Woche hatte sie Commissar Borghoff nicht zu Gesicht bekommen. Wenn er vom Dienst nach Hause kam, ging er immer rasch die Treppe hinauf in seine Räume. Seit ein paar Tagen hustete er wieder stark, auch am heutigen Abend. Lina konnte es bis in ihre Wohnung hören. Der arme Mann, dachte sie. Und wahrscheinlich war sie nicht unschuldig an diesem Husten, denn die Erkältung hatte er sich zugezogen, als er Finchen aus
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