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Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Kaffke
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sie wartete, und beeilte sich, wieder in die Harmoniestraße zu kommen.
    Hans Brecht war nicht da. Schon als sie das Haus verlassen hatte, war er nicht zu sehen gewesen, vielleicht hatte er sich versteckt, vielleicht musste er auch arbeiten. Aber dann entdeckte sie einen anderen Mann, der sich vor den Auslagen des Eisenwarengeschäftes schräg gegenüber herumdrückte. War er einer von ihnen, oder sah sie schon Gespenster? Robert Borghoff erwartete, dass Finchen zu ihr kommen würde. Doch wie sollte sie das schaffen, wenn das Haus geradezu belagert wurde?
    Als es dunkel wurde, stellte Lina sich wieder an ihr Fenster, doch dann dachte sie sich, dass sie Finchen nicht würde helfen können, wenn sie erst die Treppe hinunterlaufen musste. Deshalb schlich sie sich in den Laden, den Clara gerade geschlossen hatte, und spähte durch die Fenster auf die Straße.
    Es war jetzt fast halb acht. Borghoff musste heute auf der Ratssitzung Bericht erstatten. Das lange Stehen bereitete Lina Mühe, aber sie wagte es nicht, sich wegzubewegen. Quälend langsam verging die Zeit, und draußen rührte sich nichts. Finchen war gestern nicht gekommen, und wahrscheinlich würde sie auch heute nicht kommen.
    Plötzlich sah sie eine kleine Gestalt die Harmoniestraße heraufgehen. Sie bewegte sich rasch, doch Lina konnte gut erkennen, dass sie den breitbeinigen Gang einer Schwangeren hatte. Bevor Lina sich noch entschließen konnte, ihr entgegenzugehen, lösten sich zwei Schatten aus dem Dunkel der Straße und rannten auf die Gestalt zu.
    Lina überlegte nicht lange. Sie lief aus dem Laden in den Hausflur und griff nach ihrem Stock, dann stürzte sie hinaus.
    Finchen wehrte sich heftig, aber sie konnte nicht schreien, weil einer der Männer ihr den Mund zuhielt. Ohne zu zögern, hieb Lina einem der beiden ihren Stock über den Kopf. «Hilfe!», schrie sie, «Mörder!»
    Der Mann ließ von Finchen ab und drehte sich zu ihr, während der andere das heftig strampelnde Mädchen immer noch festhielt. Keiner der beiden war der Kutscher Brecht.
    Doch sie hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, denn der Mann, den sie geschlagen hatte, griff sie jetzt an. Wieder hieb sie mit dem Stock auf ihn ein, aber das zeigte wenig Wirkung. «Bring die Kleine weg», rief er dem anderen zu. «Ich erledige das hier schon.»
    «Hilfe, Mörder!», schrie Lina wieder, so laut sie konnte. Inzwischen waren in einigen Häusern Lichter angezündet worden, und hier und dort wurde auch ein Fenster geöffnet. Aber noch kam niemand zur Hilfe, und der zweite Mann drohte mit Finchen zu verschwinden. Lina schrie immer weiter.
    Als sie jetzt nochmals zuschlug, fing ihr Gegner den Stock ab und entwand ihn ihr. Jetzt holte er zum Schlag damit aus. Genau in diesem Moment kam Commissar Borghoff um die Ecke. Er hatte Linas Schreie bis zum Markt gehört.
    «Robert, retten Sie Finchen!», schrie Lina und duckte sich unter dem Schlag weg. Dabei verlor sie ihr Gleichgewicht und stürzte, aber immerhin hatte der Schurke sie nicht getroffen. Ein zweites Mal würde sie ihm aber nicht ausweichen können.
    Plötzlich kam Leben in die Straße. Wilhelm war da und überwältigte den Mann, konnte aber nicht verhindern, dass er schließlich floh. Mehrere andere Männer halfen Lina auf, und der Commissar kam mit dem zitternden Finchen zurück. Auch er hatte seinen Gegner nicht festhalten können.
    Finchen hatte Schweißperlen auf der Stirn und krümmte sich vor Schmerzen. Lina ging zu ihr.
    «Sie sagt, ihr fehle nichts», sagte Borghoff.
    Wieder krümmte sich Finchen.
    «Ihr fehlt auch nichts. Das sind die Wehen. Es geht los.» Das war Clara, die plötzlich bei ihnen stand. Lina sah sie fragend an.
    «Dann bringen wir sie mal hinein», sagte Clara. «Sie soll das Kind schließlich nicht auf der Straße bekommen.»

    Es hatte einige Stunden gedauert, in denen die Frauen des Hauses Dahlmann geschäftig hin- und herliefen oder für längere Zeit in Clara Dahlmanns Schlafzimmer verschwanden, in das man Finchen gebracht hatte. Wilhelm hatte die Hebamme holen müssen, und dann blieb er zusammen mit Robert Borghoff im Flur vor der Tür sitzen, bis Lina den Kopf herausstreckte und ihnen anbot, ihr Wohnzimmer zu benutzen.
    Borghoff, der auf Schlachtfeldern gewesen war und vieles gesehen und gehört hatte, zuckte bei jedem der lauten Schreie, die Finchen inzwischen ausstieß, zusammen. Auch Wilhelm hatte noch nie eine Geburt erlebt, und so saßen die beiden schweigend da und fürchteten das

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