Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
sagt Frau Bleibtreu. Ich habe sie aber nicht weggehen sehen, ich hatte sehr viel Arbeit. Es hat mich nur gewundert, dass sie Frau Aaltje allein gelassen hat, das ist gar nicht ihre Art.»
«Und bei uns ist sie nie angekommen», ergänzte Finchen. «Ich habe Lotte auf dem Markt getroffen und sie nach Frau Aaltje gefragt. Und als ich meinte, es wäre gut, dass Fräulein Lina jetzt da ist …»
«Ich verstehe, Finchen», unterbrach sie Borghoff.
«Sie ist auch nicht bei ihrer Schwester und nicht beim Baron von Sannberg, denn dessen Töchter waren gerade bei Messmers zu Besuch.»
«Gut, danke, Finchen. Ich werde mich darum kümmern. Und jetzt möchte ich, dass ihr nach Hause geht und niemandem etwas davon sagt, habt ihr verstanden?»
«Aber …», begann Finchen.
«Es ist sehr wichtig, dass alle im Hause Dahlmann denken, Fräulein Lina wäre bei ihrer Schwägerin, und dass dort alle denken, sie wäre zu Hause. Habt ihr verstanden?»
Die Mädchen nickten verwirrt.
«Geht nach Hause. Und kein Wort, zu niemandem.»
«Was könnte Fräulein Kaufmeister zugestoßen sein?», fragte Thade, der gewartet hatte, bis die beiden Mädchen das Rathaus verlassen hatten.
«Was schon», knurrte Dehnen. «Sie haben sie.»
«Ja.» Borghoff war blass geworden. «Das denke ich auch.»
«Sollen wir nach ihr suchen?», fragte Dehnen.
Borghoff schüttelte den Kopf. «Wir dürfen unseren Plan nicht gefährden. Deshalb dürfen wir auch nicht nach ihr suchen, und niemand außer den Mädchen darf wissen, dass sie vermisst wird», sagte er, obwohl er lieber gleich losgelaufen wäre. «Wenn sie … noch … lebt, dann werden wir sie vermutlich dort unten finden.» Er zwang sich, ruhig zu bleiben, und beendete die Besprechung.
Als Thade und Dehnen gegangen waren, barg er seinen Kopf in den Händen. Lina, Lina, Lina, er konnte nichts anderes mehr denken. In jeder Minute, die er allein war, betete er darum, dass sie noch lebte.
Lina war zu dem Schluss gekommen, dass sie sich nicht in den tiefen Schmuggelkellern befand, sondern in einem Hauskeller, und sie vermutete, dass es der Keller der Wienholds war. Bereits zweimal hatte sie Licht durch den Türspalt fallen sehen und jemanden draußen gehört, jemand, der etwas holte. Das machte ihr Sorgen. Bis Robert sich entschließen würde, das Haus der Wienholds zu durchsuchen, müsste viel passieren. Und es gab nicht einmal Klein Oskar als Vorwand, der strampelte sicher in seinem Körbchen bei seiner Mutter.
Nach ein paar Schlucken Cognac war ihr etwas wärmer geworden, aber sie achtete darauf, dass sie nicht betrunken wurde. Sie musste einen klaren Kopf bewahren. Wenn Reppenhagen vorhatte, sie zu töten, dann würde sie sich wenigstens wehren bis zum Tod, das hatte sie sich vorgenommen.
Im Keller roch es sehr nach Cognac, denn Lina hatte eine der Flaschen zerschlagen, um mit Hilfe der Scherben eine andere Kiste zu öffnen, die größer und schwerer war als die Cognackisten. Sie hatte es geschafft, diese zu öffnen, doch zu ihrer Enttäuschung waren hierin dicke Steingutflaschen, Mineralwasser. Sie öffnete eine, trank und merkte erst jetzt, wie durstig sie war.
Auch in der nächsten Kiste waren nur Getränke, Champagner nämlich. Sie erinnerte sich an den extra dicken Boden der Flaschen und entschied, dass dies die beste Waffe sein würde. Eine kleine spitze Scherbe einer zerbrochenen Cognacflasche umwickelte sie mit Stoff und schob sie in das Bustier ihres Korsetts, eine andere steckte sie in ihr Strumpfband.
Dann begann sie, sich aus verschlossenen Cognac- oder Weinkisten einen Sitz zu bauen, und verteilte Holzwolle darüber. Das war jedenfalls ein wärmerer Untergrund als der nackte Boden. Aber allzu lange konnte ihre Gefangenschaft hier nicht mehr dauern. Irgendwann war es Nacht, und sie würden kommen, um sie zu holen.
Immer, wenn sie draußen etwas hörte, stand sie, so schnell sie konnte, auf und stellte sich, die Champagnerflasche in der Hand, neben die Tür. Dieses Mal hörte sie erstmals Stimmen.
«Wie lange hältst du sie hier schon fest?» Das war Werner Wienhold.
«Seit gestern», schnarrte Reppenhagens unfreundliche Stimme. «Ihre Schwester hat sie mir direkt in die Arme laufen lassen.»
«Du verstehst gar nichts, Donatus. Wir machen uns Gedanken, liefern ihnen Brecht als Mörder, geben ihnen sogar dieses Kind zurück, damit sie uns in Ruhe lassen, und du? Entführst eine Freundin des Polizeichefs. Sie werden nach ihr suchen, und so wie es aussieht, werden sie das
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