Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
zuallererst hier tun.»
«Sie haben ja noch nicht einmal gemerkt, dass sie verschwunden ist. Niemand sucht nach ihr.»
Lina blieb fast das Herz stehen. Sie hatte gehofft, dass Robert bereits auf der Suche nach ihr war. Jetzt zu erfahren, dass sie offensichtlich niemand vermisste, ließ ihre Hoffnung, den Keller jemals lebend zu verlassen, weiter schwinden.
«Du musst den Tatsachen ins Auge sehen, Donatus. Alles steht auf Messers Schneide. Die wichtigen Geschäftsleute wenden sich gegen uns, und wir schaffen es vielleicht nicht mit denen, die wir zu uns gezogen haben.»
«Du denkst zu sehr an die Geschäfte, Werner.»
Lina fuhr ein Schauer über den Rücken. Das war die Priesterin.
«Du hast nachgelassen im Glauben. Unsere Macht kommt nicht vom Geld. Unsere Macht kommt aus dem Blut, das wir trinken werden, und den Opfern, die wir darbringen. Unsere Macht kommt aus unser aller Göttlichkeit.»
«Das war vielleicht so in den Zeiten, als die Menschen noch das Land bestellten und von seinen Früchten lebten. Heute sind die Maschinen die neuen Götter, und der größte Gott ist das Geld. Vergiss nicht, Mariana, dass du bei all deiner Macht unser Geschöpf bist. Mein Vater hat dich zu dem gemacht, was du bist. Du bist sicher das Größte, was er je geschaffen hat, aber trotzdem bist du ihm und seiner Familie verpflichtet. Du bist mir verpflichtet.» Es war kurz ruhig draußen, dann sagte Wienhold gepresst: «Versuche deine Taschenspielertricks nicht an mir.»
«Du solltest sie besser nicht so reizen.» Das war wieder Reppenhagens Stimme. «Die Hinkende wird jedenfalls heute Abend auf dem Altar liegen. Sie ist zwar nicht makellos, aber doch sehr schön. Ein solches Opfer hatten wir lange nicht mehr. Es ist so beschlossen, von Müller hat zugestimmt.»
«Das wird kein gutes Ende nehmen. Wir werden mehr als ein Jahr verlieren, wenn wir es nicht schaffen, die Polizei und die Honoratioren wieder zu beruhigen.»
«Werner, der Orden besteht schon weit mehr als hundert Jahre. Glaubst du, ein Rückschlag in diesem Nest könnte uns wirklich schaden?»
«In diesem Nest geschieht etwas Großes. Hier kannst du den Fortschritt greifen und die Zukunft Gestalt annehmen sehen.»
«Wir werden erleben, wer von uns Recht behält», sagte Reppenhagen in versöhnlichem Ton. «Die Idee, ihnen Hans Brecht auszuliefern, war jedenfalls nicht schlecht. Sein Übereifer hat uns weit mehr geschadet als genützt. Und die Hure, der er das Gesicht zerschnitten hatte, zu töten, war unglaublich dumm von ihm. Nimm den Bordeaux und dann lass uns wieder hinaufgehen.»
Lina hörte, wie sich ihre Schritte entfernten. Nun war sie sich sicher: Dies war der Weinkeller der Wienholds, und Wienhold und Reppenhagen hatten den Wein für das Abendessen ausgesucht. Es war gut zu hören, dass sich die Anführer des Ordens nicht einig waren. Aber ihr würde das wenig nützen, sie würde sich in wenigen Stunden auf dem Altar wiederfinden und getötet werden. Oder geschändet und getötet. Sie schloss die Augen und tastete nach der spitzen Scherbe in ihrem Bustier.
Die Kirchturmuhr hatte neun Uhr geschlagen, und immer noch konnte man den Eindruck haben, dass alles in Ruhrort seinen gewöhnlichen Gang ging an diesem Mittwochabend. Die Polizeidiener hatten Feierabend gemacht, wenig später auch Ebel und Borghoff selbst. Er war bei Lohbeck gewesen und hatte sich sein Bier geholt, es sogar nach Hause gebracht. Der Nachtwächter hatte die Anweisung, die Beleuchtung an der Hafenstraße bei Haniels Haus zu vergessen. Sie hatten beschlossen, diesen Eingang in die Keller zu nehmen, um die Wege zu verkürzen.
Ein Teil der Bürgerwehrmänner, die mit Borghoff hinuntergehen sollten, war schon seit dem frühen Abend zu Gast bei Haniel. Borghoff selbst schlug nun einen großen Bogen über die Altstadt und wieder zurück zum Haus der Haniels.
Haniels Sohn Hugo begrüßte ihn persönlich am Tor und begleitete ihn hinunter in den Hauskeller, wo die anderen bereits warteten, unter ihnen Sergeant Thade. «Hinnerk Dehnen beobachtet das Haus der Wienholds», berichtete Hugo Haniel. «Er hat jemanden geschickt, um mitzuteilen, dass es jetzt losgeht. Viele Leute kommen dorthin, es sieht aus, als würde ein großes Fest gefeiert.»
Borghoff sah auf seine Taschenuhr. Jetzt war es fast zehn. «Wir gehen runter», gab er den Befehl zum Aufbruch.
Einer nach dem anderen stieg durch die Falltür hinunter und folgte dann Borghoff in den engen Gang, der zum Hauptgang führte. Die Tür
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