Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
daran zu lehnen, war kaum bequemer als der Boden. Trotzdem blieb sie so sitzen. Langsam kam die Erinnerung zurück. Die lächelnde Mina, Reppenhagens bösartiges Grinsen. Leise begann sie zu weinen. Sie wusste nicht, was sie mehr schmerzte, ihre Angst, hier im Dunkeln gefangen zu sein, oder der Verrat ihrer Schwester.
Sie musste weggedämmert sein. Als sie wieder erwachte, hatte sich nichts geändert, nur dass sie Übelkeit verspürte und zu ihrem Erstaunen gleichzeitig Hunger. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie schon hier war.
Robert kam ihr in den Sinn. Erst wie ein Trugbild, eine Vorstellung von seinen Lippen auf den ihren und seinen Berührungen auf ihrem Körper. Dann aber wurde alles klarer. Robert, der Polizeicommissar in seiner Uniform. Robert würde nach ihr suchen, wenn sie nicht nach Hause kam. Und er würde sie finden, er würde über die Teufel triumphieren. Und dann knurrte ihr Magen, und sie fragte sich, warum er nicht schon längst hier war.
Trotzdem hatte der Gedanke an ihn geholfen. Er würde sie nicht finden können, wenn sie hier hilflos herumlag. Ihr war klar, dass Schreien ihr jetzt nicht helfen könnte, aber sie musste bereit sein, wenn er kam, wenn er die Schmuggelkeller nach ihr durchsuchte.
Sie beschloss, ihr Gefängnis zu erforschen. Kriechen erlaubte ihre Hüfte nicht, sich bücken, um herauszufinden, was es in Bodennähe gab, konnte sie auch schlecht, deshalb rutschte sie im Sitzen rückwärts über den Boden und tastete ihn dabei ab.
Zunächst fand sie nichts. Der Raum schien nicht sehr breit zu sein, aber recht lang. Dann stieß sie plötzlich gegen etwas, das sich wie eine Holzkiste anfühlte. Es gab mehrere davon, sie waren wohl an der Wand gestapelt. Auf die Kisten gestützt, gelang es ihr, aufzustehen. Jetzt ging sie den Raum noch einmal ab, er war fünf Schritte breit und etwa zwölf Schritte lang. Sie entdeckte auch eine Tür direkt neben den Kisten, aber natürlich war sie verschlossen.
Sie entschied sich, die Kisten zu untersuchen. Es war schwer, sie zu öffnen. Bei den ersten beiden gelang es ihr gar nicht, denn sie waren gut vernagelt. Eine dritte war jedoch bereits geöffnet, den Deckel hatte man lose aufgelegt. Sie fühlte den Inhalt. Holzwolle. Dann Flaschen. Das war Wein oder Branntwein. Sie befühlte die Verkorkung, versuchte, sie in die Flasche zu drücken, doch der Korken gab nicht nach. Sie hatte einfach zu wenig Kraft.
Erschöpft wollte sie sich wieder auf den Boden gleiten lassen, aber dann überlegte sie es sich anders. Sie griff nach dem Deckel der Kiste und hieb ihn mit voller Kraft gegen die Wand. Er brach.
Ganz vorsichtig befühlte sie die Bruchstücke. Da war ein größerer Splitter, er konnte dazu taugen, die Flasche zu öffnen. Sie tastete wieder nach dem Korken und befühlte das Holzstück. Es war schmal genug, um durch den Flaschenhals zu passen, aber sie fürchtete, sich die Hand damit zu verletzen. Sie riss sich ein Stück mit Rosshaarpolsterung aus einem ihrer Unterröcke und wickelte es um die Spitze. Mit aller Kraft versuchte sie, den Korken in die Flasche zu drücken. Sie musste ein paarmal neu ansetzen, aber schließlich gelang es, und ein süßlicher Geruch durchströmte den Raum.
«Cognac», flüsterte sie. Jetzt würde ihr wenigstens wieder warm werden.
Robert ging am nächsten Morgen früh zum Dienst. Es sollte den Anschein haben, dass die Polizei ihren ganz normalen Tagesgeschäften nachging. Ebel kontrollierte den Markt, die Polizeidiener registrierten Fremde, er selbst ging noch einmal alle Pläne durch. Ab dem späten Vormittag kamen die Hauptleute der Bürgerwehrgruppen einer nach dem anderen mit einem Anliegen ins Rathaus. Einer beschwerte sich über seinen Nachbarn, ein Zweiter wollte den Bürgermeister sprechen, der Dritte zeigte einen nicht registrierten Fremden an. Jeder von ihnen verließ das Rathaus mit einem genauen Plan der Schmuggelkeller und schriftlichen Anweisungen von Borghoff.
Am Nachmittag kam auch Hinnerk Dehnen, gerade als Sergeant Thade aus Meiderich zur Berichterstattung eingetroffen war. Mit beiden Männern, denen er besonders vertraute, wollte Borghoff noch ausführlich reden.
Sie hatten gerade begonnen, als Finchen plötzlich in den Dienstraum stürzte, hinter sich die völlig atemlose Lotte. «Herr Commissar, Fräulein Lina ist verschwunden!»
«Wie bitte? Ich dachte, sie sei bei ihrer Schwägerin.»
«Da ist sie nicht.» Lotte konnte kaum sprechen. «Sie ist gestern Vormittag schon wieder gegangen,
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