Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
bestätigte, dass er für den Unterhalt der Tochter sorgen und sie der Gemeinde keine Kosten verursachen würde.
Natürlich hatte Lina einen Hintergedanken: Sie wollte wissen, ob Borghoff bei der verrückten Kätt tatsächlich ein totes Kind gefunden hatte. Aber sie musste sich bis zum Nachmittag gedulden, denn Mina konnte unmöglich in ihrem von der Reise verschmutzten Kleid zum Rathaus gehen, und ihr anderes war zu leicht für diese Jahreszeit.
So musste am Morgen bei Guste eine schwarze Bluse besorgt werden, und Lina war den ganzen Vormittag damit beschäftigt, diese und den riesigen Rock, den Aaltje beigesteuert hatte, auf Minas spärliche Maße zu ändern. Den verschlissenen Mantel, mit dem die Schwester aus Brüssel gekommen war, hatte Lina kurzerhand weggeworfen und Mina eines ihrer warmen Capes abgetreten.
Guste versuchte sich derweil im Ändern der Anzüge für die Jungen, denn diese sollten so bald wie möglich zur Schule gehen.
Jetzt, nach dem Mittagessen und nachdem Lina den Vater versorgt hatte, probierte Mina die geänderten Kleider an. Sie passten perfekt, und Lina hatte, da Aaltjes Rock nicht nur zu weit, sondern auch zu lang gewesen war, mit ein paar schnell genähten Raffungen in verschiedenen Abstufungen aus dem schlichten Teil ein richtiges Schmuckstück gemacht. Mina hatte Tränen in den Augen, als sie sich in dem hohen Spiegel im oberen Stockwerk betrachtete.
«So etwas Schönes habe ich lange nicht mehr getragen.»
«Warte erst einmal ab, wenn wir dir neue Kleider machen», sagte Lina, durchaus ein bisschen stolz.
Mina sah auf den Boden. «Aber ich kann dem Bruder doch nicht so auf der Tasche liegen. Das wäre nicht recht.»
«Er wird dir einen Vorschuss auf deine Jahresrente geben müssen. Das Jahr ist bald zu Ende, und du wirst das Geld ja nicht für den Lebensunterhalt brauchen.»
«Aber … er wird sicher etwas dafür wollen, dass wir hier mit euch leben.»
«Die Herrin über das Haushaltsgeld bin ich, und ich versichere dir, dass es weit weniger als die Rente sein wird, wenn wir euch durchfüttern. Mach dir keine Gedanken, Mina. Ich werde ihm schnell klarmachen, dass eine Kaufmeister nicht in Lumpen herumlaufen darf, auch wenn sie jetzt Bleibtreu heißt.» Lina griff nach einem ihrer Hüte. «Das ist nicht die neueste Mode, passt aber perfekt zu Kleid und Mantille.»
Die Schwestern gingen Richtung Markt, Lina verwahrte den Brief des Vaters sicher in einem kleinen Beutel. Während die Bauern gerade ihre Waren auf die Karren luden, machten einige noch letzte Geschäfte, oft mit Händen und Füßen. Diese wurden vor allem in der Verständigung mit den wallonischen Frauen eingesetzt, die versuchten, etwas billiger zu bekommen.
«Sie haben gehört, dass der Markt in der Altstadt morgen wegen des Hochwassers ausfällt», erklärte Lina. «Was der Bauer heute hier in der Neustadt nicht verkauft, könnte bis zum nächsten Samstag verdorben sein.»
Im Rathaus herrschte ein ähnliches Gedränge wie draußen auf dem Markt. Gerade war wieder eine größere Gruppe wallonischer Arbeiter angekommen, um sich anzumelden. Bei ihnen war ein Dolmetscher der Phoenix-Werksleitung, der aufgeregt auf den Polizeidiener einredete. Augenscheinlich ging es darum, dass er noch nicht angeben konnte, wo die Männer unterkommen würden.
«Ein Bauer in Meiderich wird sie eine Weile in seiner Scheune beherbergen», sagte der Mann gerade.
«Zwanzig Männer in einer Scheune?», fragte der Polizeidiener.
«Hören Sie, diesen Monat werden noch zwei neue Häuser auf dem Mühlenfeld fertig. Und der Bauer auf Stockum baut auch Wohnungen. Wir brauchen diese Männer für die Maurerarbeiten auf der Hüttenbaustelle. Und wir brauchen noch fünfzig weitere in den nächsten Tagen für Hüttenarbeiten. Es gibt einfach nicht genügend erfahrene Arbeitskräfte in Ruhrort und Umgebung.»
Der Polizeidiener seufzte. Die Männer waren keine Bettler. Auch wenn es keine vernünftigen Wohnungen für sie gab, war doch gut für sie gesorgt. Die Direction hatte sogar einen Arzt eingestellt, plante eine Kirche und eine Schule, ein Krankenhaus, damit sie Verletzte und Kranke nicht immer ins Diakonie-Krankenhaus nach Duisburg transportieren musste. Außerdem gab es die Anweisung vom Bürgermeister, dem Phoenix keine Steine in den Weg zu legen.
Er ließ sich die fremden Namen buchstabieren, trug sie in die Listen ein und füllte die Papiere für die Fremden aus.
Lina und Mina, denen es in der engen Amtsstube zu stickig wurde,
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