Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Hafenarbeiter und Schiffer, sondern auch feine weiße Tücher. Clara Dahlmann hatte rasch erfasst, dass es ein kleines, aber gutes Geschäft war, wenn sie die Tücher nicht mehr fertig kaufte, sondern sie von Lina aus Stoffresten nähen ließ.
Die anderthalb Thaler, die Lina nun wieder besaß, waren jedoch sauer verdientes Geld, da Clara nur wenige Pfennige zahlte. Aber Lina klagte nicht, sondern dachte an das Brennholz, das sie im Winter davon kaufen konnte.
Früher hatte sie im Mai damit begonnen, die Kleider ihrer Familie für die Frühlingsbälle zu schneidern. Georg würde sich gewaltig ärgern, wenn er dafür nun einen Kleidermacher bezahlen musste. Die Kleider für Friederike und Emma, die sie aus den Stoffen, die sie in Cöln erstanden hatten, angefertigt hatte, waren noch vor ihrem Umzug fertig geworden. Die Mädchen würden einen sehr hübschen Anblick darin bieten.
Lina war auf dem Weg zu Guste, um ihre wöchentliche Lektüre abzuholen, die Bertram ihr nach wie vor zukommen ließ: Die Rhein- und Ruhrzeitung der vergangenen Tage und manchmal den ihrem Bruder verhassten Kladderadatsch . Auf die Gartenlaube hoffte Lina aber vergebens, die gaben Guste und ihre Töchter nicht gerne weg.
Was sie schmerzte, war, dass sie Mina seit Georgs Ausbruch nicht mehr hatte sprechen können. Als sie etwa eine Woche danach zum ersten Mal wieder das Haus verlassen hatte, mit gesenktem Kopf und ihrem größten Schutenhut, in der Hoffnung, dass man ihre buntschillernde Gesichtshälfte so nicht bemerken würde, hatte sie plötzlich ihrer Schwägerin Aaltje und Mina gegenübergestanden, die gerade Levys Tuchladen, Claras schärfsten Konkurrenten, verließen. Auf Linas freudige Begrüßung hin waren beide ohne ein Wort an ihr vorbeigegangen, wenn auch die Schwester ihr einen recht verzweifelten Blick zugeworfen hatte. Von Guste hatte Lina erfahren, dass Georg jeder Person aus seinem Hause den Umgang mit Lina verboten und schlimmste Strafen angedroht hatte. Wohl wissend um das innige Verhältnis der Zwillinge, hatte er Mina unmissverständlich klargemacht, dass ein Verstoß gegen dieses Verbot für sie bedeutete, sein Haus verlassen zu müssen.
Guste war darüber sehr erbost, aber was konnte sie schon tun? Sie versprach, wenn einige Zeit verstrichen war, ein «zufälliges» Treffen mit Mina in ihrem Hause zu arrangieren, doch im Moment war es nicht ratsam, den Bruder noch mehr zu verärgern, und schon gar nicht, Minas Existenz aufs Spiel zu setzen. Aber Linas Sehnsucht nach der Schwester war groß, und sie machte sich außerdem Sorgen um alle, die ihr früher anvertraut gewesen waren, besonders um Finchen, die ja im Frühjahr ein paar Wochen krank gewesen war. Guste versicherte ihr jedoch, dass das Hausmädchen wieder aussah wie das blühende Leben.
So in Gedanken versunken, machte sie sich auf den Weg in die Dammstraße, als plötzlich eine Kutsche neben ihr hielt, ein schwarzer, geschlossener Zweispänner.
Lina wollte vorbeigehen, doch die Tür öffnete sich, und zu ihrem freudigen Erstaunen erkannte sie Baron von Sannberg, der sie herzlich begrüßte. «Wie schön, Sie zu sehen, meine Liebe», rief er und sprang aus dem Wagen. «Geht es Ihnen wieder besser?»
Lina wusste nicht recht, was sie antworten sollte. Wusste er, was ihr widerfahren war? «Ja, es geht mir gut.»
«Ich habe mir große Sorgen gemacht. Ich hatte Ihren Bruder und die Familie eingeladen auf das Gut, und man sagte mir, dass Sie krank seien und deshalb nicht mitkommen können.»
«Krank war ich in der Tat.»
Von Sannberg sah sie fragend an und begriff sofort, dass sie hier auf der Straße nicht darüber reden wollte.
«Meine Töchter sind übrigens mit mir hier. Sie wollten ein wenig Stadtluft schnuppern, und sei es auch nur in Ruhrort. Sie sind äußerst unzufrieden mit ihren teuren Kleidern aus Cöln und jammern, dass die Ballkleider Ihrer Nichten viel hübscher sind als ihre.»
«Ich hatte ihnen angeboten, ihre Kleider zu nähen. Aber der großstädtische Kleidermacher hat viel von Paris und Wien erzählt, das trauten sie mir wohl nicht zu», antwortete Lina.
«Kommen Sie uns doch besuchen, solange wir hier sind. Die Mädchen sind wirklich ganz unglücklich, schließlich müssen sie auch auf ein paar Berliner Sommerbällen bei ihrer Mutter einen guten Eindruck machen und wollen nicht wie die Provinzlerinnen dastehen. Ihre Nichten erwarten wir morgen, dann könnten Sie dazukommen.»
«Das würde ich sehr gerne, Herr von Sannberg.»
Hinter ihnen
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