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Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Kaffke
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erzogen.»
    Er hielt den Wagen an und stieg ab. Borghoff folgte ihm ins Gebäude. Innen war es so hässlich wie außen, graue, lange nicht gekälkte Wände, ein düsterer Flur.
    Ein älterer Mann hockte direkt bei der Tür und erhob sich. «Ach, Sie sind es, Herr Staatsanwalt», sagte er nur und setzte sich wieder. Offensichtlich war Rocholl hier gut bekannt.
    «Das war mal eine Tuchfabrik, sie wurde zu klein. Jetzt leben und arbeiten hier die gefallenen Frauenzimmer. Meine Frau gehört dem Verein an und setzt sich sehr für diese Sache ein.» Und ist sicher der Garant dafür, dass der Verein nicht als politisch verdächtig gilt , dachte Borghoff. Es war schwierig geworden für Frauen in Preußen, Vereine zu gründen.
    Hinter einer Tür konnte man den Lärm von dampfgetriebenen Webstühlen hören. Am Ende des Ganges fiel durch eine geöffnete Tür Licht in den Flur. Dort saßen mehrere junge Frauen, einige von ihnen hochschwanger, und säumten Laken.
    «Eine Weberei, eine Näherei und eine Wäscherei werden vom Verein unterhalten. So sind sie nicht allein auf Spenden angewiesen.» Rocholl stieg die Treppe in den ersten Stock hinauf. Gleich darauf klopfte er an eine Tür.
    «Herr Caspar Heinen, dies ist Commissar Robert Borghoff aus Ruhrort», stellte Rocholl seinen Begleiter vor.
    Borghoff und Heinen gaben sich die Hand. Heinen war untersetzt und rundlich, hatte ein gerötetes Gesicht mit flinken Augen. Die bunte Weste spannte sich über seinem Bauch, das Jackett hatte er abgelegt.
    «Nun», sagte Borghoff erwartungsvoll. «Ich weiß bis jetzt noch nicht, warum mich der Staatsanwalt hierhergebracht hat …»
    «Es ist mir ein wenig peinlich», sagte Heinen, deutete auf die Stühle vor seinem Schreibtisch, auf denen sicher sonst die gefallenen Mädchen reumütig Platz nahmen, und setzte sich wieder. «Aber Ende Januar ist ein Mädchen von hier verschwunden. Sie war eine von denen, bei der zu erwarten war, dass sie unser Haus schnell wieder verlässt, und die keineswegs vorhatte, ihre Schuld bei uns zu begleichen. Deshalb haben wir es als Verlust gebucht und nicht weiter nach ihr gesucht.»
    Borghoff dämmerte es. «Sie vermuten, dass es die Tote sein könnte, die wir Anfang Februar in Ruhrort an der Woy gefunden haben?»
    Rocholl nickte. «Ich habe erst jetzt davon erfahren, weil gerade wieder ein Mädchen verschwunden ist und es diesmal nicht danach aussieht, als wäre es freiwillig gegangen.»
    «Sie ist hochschwanger, es ist unwahrscheinlich, dass sie vor der Niederkunft geht», ergänzte Heinen. «Als ich mit der Polizei und danach mit dem Staatsanwalt sprach, fiel mir Hermine Johnen wieder ein, die im Januar verschwand.»
    «Der Beschreibung nach könnte es Ihre Tote gewesen sein, selbst das Muttermal am Hals stimmt überein.» Rocholl sah Borghoff an. «Sie sagten doch, bei der Obduktion hätte der Arzt festgestellt, dass sie gerade entbunden hatte.»
    «Ja, das stimmt.» Borghoff runzelte die Stirn. «Möglicherweise hat das jetzt verschwundene Mädchen auch etwas mit dem Fall zu tun. Fühlte sie sich denn wohl hier?»
    Offensichtlich grenzte diese Frage für Heinen fast an eine Beleidigung, denn er sprang mit einer Behändigkeit, die man ihm nicht zugetraut hätte, von seinem Stuhl auf. «Kommen Sie mal mit», sagte er.
    Rocholl zuckte die Schultern, folgte ihm mit Borghoff aber hinauf ins Dachgeschoss. Dort gab es einen großen Schlafraum mit vielen Betten.
    «Die Mädchen, die hierherkommen, stammen oft aus Arbeiterfamilien und leben mit zehn, zwölf oder vierzehn Leuten in einem Raum. Hier mag es nicht hübsch aussehen, aber jede hat ihr eigenes Bett.»
    Er drehte sich um und blitzte Borghoff an. «Sie bekommen Essen und Kleidung, dürfen ihre Kinder während der Arbeitszeit stillen und wissen sie immer in guten Händen. Ja, es gibt viele, die sich hier wohl fühlen, weil sie es hier sehr viel besser haben als jemals zuvor in ihrem Leben.»
    «Könnten der Staatsanwalt und ich mit den Mädchen sprechen, die Hermine Johnen gekannt haben?» Borghoffs Sachlichkeit ließ Heinens Vortrag ins Leere laufen.
    «Natürlich. Deshalb hat der Staatsanwalt Sie ja herkommen lassen.»

    Wenig später saßen Rocholl und Borghoff in Heinens Büro, das er ihnen überlassen hatte, und sprachen mit den wenigen Mädchen, die das Haus seit Februar noch nicht verlassen hatten. Viel wussten sie nicht über Hermine Johnen, die meistens für sich gewesen war.
    «Sie war eine Hure», sagte ein Mädchen. Verachtung lag in der Stimme.

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