Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
«Sie war immer darauf aus, leichtes Geld zu verdienen. Die Arbeit hier schmeckte ihr gar nicht, aber sie wusste auch nicht, wohin sie sonst gehen sollte. Sie war wohl auch schon wegen Hurerei im Arbeitshaus gewesen.»
Erst die letzte der jungen Frauen, Maria Anna Haltern, eine große, kräftige Person, deren hellrote Locken überall unter der weißen Haube hervorlugten, schien sich mit der Verschwundenen angefreundet zu haben. «Sie war dumm. Sie glaubte immer noch, dass sie auf der Straße genug Geld machen konnte, um irgendwann als feine Dame leben zu können. Dass ich nicht lache!» Ihr grimmiges Gesicht war fast ein wenig furchteinflößend.
«Hat sie dir gesagt, wo sie hinwill?», fragte Borghoff.
Maria schüttelte den Kopf. «Nein. Aber sie sagte, es käme jemand, der sie hier wegholt. Und sie wusste ganz genau das Datum. 29. Januar, dann bin ich weg, sagte sie. Und so war das dann auch.»
«Dürft ihr euch hier denn mit Leuten von außerhalb treffen?» Rocholl blickte Borghoff an.
«Nein, das ist streng untersagt, vor allem den ehemaligen Huren. Aber einige von uns, die, die in der Küche und der Wäscherei arbeiten, kommen ja hier raus, auf den Markt oder zu den Kunden.»
«Und wo arbeitete sie?»
«In der Küche.» Maria beugte sich verschwörerisch vor. «Sie kam zweimal die Woche zum Markt, und ich denke, da wird sie jemand angesprochen haben.»
«Aber sie war dort doch nicht allein?» Borghoff tat ebenso verschwörerisch.
«Ich weiß das von einem Mädchen, das nicht mehr hier ist. Hermine war immer kurz verschwunden. Da konnte nur ein Mann dahinterstecken – und das mit ihrem dicken Bauch.» Sie lehnte sich wieder zurück. «Ich weiß nur, dass sie sehr unglücklich war, weil ihr Kind früher als vermutet auf die Welt kam und sie dadurch zwei Wochen nicht auf den Markt gehen konnte. Aber sie ist am 29. verschwunden, genau wie sie gesagt hat.»
«Woher weißt du das Datum eigentlich so genau?», wollte Rocholl wissen.
«Na, weil mein kleines Mädchen am 1. Februar geboren wurde, drei Tage später.»
«Danke», murmelte Borghoff, und Maria ging hinaus. «Herzen und Kinder …»
«Was meinen Sie?», fragte Rocholl.
«Von den beiden ersten Opfern war eines hochschwanger. Das Mädchen, das jetzt verschwunden ist, ist hochschwanger. Hermine Johnen hätte noch schwanger sein sollen, als sie verschwand.»
«Aber die Tote an Neujahr und die, die Sie neulich gefunden haben …»
«Grete Hermeling wusste etwas über den Freier, der sie entstellt hatte. Deshalb musste sie sterben. Und die Hure letzte Woche … Nun, womöglich ist sie genau diesem Freier zum Opfer gefallen. Obwohl …»
«Ihr hat man das Herz herausgeschnitten, Grete nicht.» Der Staatsanwalt brachte es auf den Punkt.
«Meine Möglichkeiten, in Ruhrort etwas ausholender nachzuforschen, sind leider gering, Herr Staatsanwalt. Aber ich komme immer mehr zu dem Schluss, dass es wichtig sein könnte, herauszufinden, was es mit den herausgeschnittenen Herzen auf sich hat. Ich meine, den Grund, warum jemand sie herausschneidet. Vielleicht entdecken wir dann etwas, das uns zu dem oder den Mördern führt.»
Rocholl seufzte. «Duisburg ist auch nicht weniger provinziell als Ruhrort. Aber ich werde sehen, was ich tun kann. Im Moment bleibt nur, die Markthändler zu befragen, ob sie vielleicht einen Mann mit einer schwangeren Frau haben heimlich reden sehen.»
«Das ist mehr als drei Monate her …», warf Borghoff ein.
«Einen anderen Ansatzpunkt haben wir nicht.»
«Sie haben recht. Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe.» Borghoff zog seine Taschenuhr heraus. «Es ist fast zwölf, es wird Zeit, dass ich zurück nach Ruhrort komme und ein paar Wallonen registriere.»
Rocholl grinste. «Ist es so schlimm?»
«Schlimmer.»
Was für ein Nachmittag! Die Stunden, die Lina zusammen mit ihren Nichten im Hause des Barons verbrachte, waren die schönsten seit langem. Zunächst hatten die Baronessen ihr die in Cöln erstandenen Ballkleider vorgeführt, und sie konnte die Enttäuschung der Mädchen verstehen. Trotz zweier Anproben saßen die Oberteile nicht richtig, und außerdem gab es Abweichungen zu den Abbildungen in den Modezeitschriften. Die wirklich komplizierten Details hatte der Meister einfach weggelassen und dafür höchst geschmacklosen Schnickschnack angebracht.
«In Berlin werden sie uns als Landpomeranzen verlachen», klagte Beatrice.
«So schlimm wird das schon nicht werden», beruhigte sie der Baron, dem die Modenschau
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