Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
der Commissar auch gesagt», sagte sie.
Oben in Linas Wohnzimmer hatten sich Gustes Bedienstete ihrer Lasten entledigt. Eberhard hatte die Nähmaschine auf den Tisch gestellt. «Das war unser Weihnachtsgeschenk für dich, liebe Tante. Wie konnte er sie dir nur wegnehmen», sagte er leise.
«Er fühlt sich im Recht, Eberhard», antwortete Lina müde. «Und leider ist er das auch.»
Er schüttelte den Kopf. «So behandelt man keine Familienangehörigen. Recht hin, Recht her.» Er umarmte Lina. «Ich muss mich leider verabschieden, es ist viel zu tun. Aber es war mir eine große Ehre, Mutter bei ihrem Feldzug zu begleiten.» Damit verließ es das Zimmer.
Guste wandte sich an ihre Bediensteten. «Therese, Doris, ihr könnt jetzt nach Hause gehen. Martin, lauf hinunter zur Werft und hol dir zwei starke Männer. Wir müssen noch ein Bett herschaffen und die anderen Möbel.»
«Was für Möbel?», fragte Lina.
«Leider nicht deine. Georg fürchtet, du könntest sie verkaufen und zu Geld machen. Aber Bertram und ich wollten schon lange das Gästezimmer neu einrichten. Die Möbel sind alt und nicht besonders schön …»
Lina schossen die Tränen in die Augen. «Danke, Guste. Und bitte richte Bertram meinen Dank aus. Ich werde euch so bald wie möglich besuchen und es ihm selber sagen.»
Guste war auch etwas gerührt, versteckte das aber unter Geschäftigkeit. «In der Aussteuertruhe sind deine Bücher. Wir sollten sie herausräumen und die Kleider in die Truhe legen, damit sie nicht ganz zerknittern.»
Gemeinsam räumten sie die Truhe aus, und ganz unten kam der Atlas des Vaters zum Vorschein. Jetzt weinte Lina wirklich. Sie hielt das schwere Buch im Arm und sah Guste fragend an.
«Ich habe Georg gesagt, dass ich Zeuge war, wie Vater äußerte, dass du den Atlas bekommen sollst.» Guste schaute grimmig.
«Aber das stimmt doch gar nicht …»
Plötzlich mussten sie lachen. Sie merkten gar nicht, dass Clara in der Tür stand. «Schön, solche Töne aus diesen Zimmern zu hören.»
Lina, mit verheulten Augen, aber lachendem Gesicht, soweit es die geschwollene Gesichtshälfte zuließ, erzählte Clara von den Möbeln, die unterwegs waren.
«Ihr Hausknecht könnte doch Wilhelm helfen, das Ladenregal aus dem Keller zu holen, das der Lehrer hier stehen hatte. Dann sind alle Bücher und Gegenstände schnell verstaut», schlug Clara vor.
«Vielen Dank, Frau Dahlmann.»
«Es hat ja immer hier gestanden», wehrte Clara ab.
Am späten Nachmittag sah es wieder wohnlich aus in Linas Zimmern. Das alte Bett aus Gustes Gästezimmer war schmaler als Linas altes, dafür konnte man sich aber in dem Zimmer besser bewegen. Der Waschtisch war nur ein Tisch mit zwei kleinen Schubladen, daher hatte Lina einen Korb für ihre Wäsche behalten. Was Guste ihr an Geschirr und Gläsern mitgebracht hatte, stand ebenso wie die Bücher in dem alten Ladenregal. Wilhelm hatte versprochen, es bei der nächsten Gelegenheit neu anzustreichen.
Die Anstrengungen des Tages hatten Lina ermüdet. Ihr Kopf und die Wunden schmerzten wieder stärker, und sie beschloss, sich früh hinzulegen, doch der Schlaf wollte nicht kommen. Wieder und wieder zermarterte sie sich den Kopf, wie sie an Geld kommen könnte. Plötzlich ertastete sie unter ihrem Kissen das Taschentuch, das der Commissar ihr gegeben hatte, sie hatte es aus der Dachkammer mit heruntergebracht.
Sie zündete ihre Kerze wieder an und betrachtete es – ein einfaches, festumsäumtes Stück Baumwolle. Lina ging zu ihrer Truhe und holte die Stoffreste heraus, die sich im Laufe der Zeit angesammelt hatten und die sie bei ihren Kleidern aufbewahrt hatte. Darunter waren recht große Stücke weißen Batists. Sie dachte an die teuren Taschentücher, die Clara unten verkaufte. Dann nahm sie entschlossen den Stoff, fädelte das weiße Garn in die Nähmaschine ein und säumte das Tuch, so fein sie konnte. Das Ergebnis gefiel ihr. Damit könnte sie Clara vielleicht überzeugen, ihr Geld für das Nähen von Taschentüchern und Kragen zu bezahlen.
3. Kapitel
Der Mai stand vor der Tür. Inzwischen waren Linas Verletzungen gut geheilt, nur eine letzte kleine Verfärbung an ihrem Auge erinnerte noch an Georgs Schläge. Sie hatte sich daran gewöhnt, in dem schmaleren Bett zu schlafen und keinen schönen Lesesessel mehr unter dem Fenster stehen zu haben.
Aber zum Lesen war auch nicht mehr so viel Zeit. Denn Lina nähte Tag für Tag viele Taschentücher. Nicht nur die groben Herrentücher für die
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