Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
raffiniert zugleich –, machte schon jetzt etwas her und würde prachtvoll werden.
Sie verbrachten noch einen sehr netten Nachmittag miteinander. Lina fühlte sich zu keiner Zeit von den Damen als Dienstbotin behandelt, im Gegenteil, ihr Umgang war genauso freundlich, wie Lina es von den alteingesessenen Familien der Stadt gewohnt war. Aber Lina fragte sich, was geschehen würde, wenn diese mit den Kaufmeisters befreundeten Familien erfuhren, dass sie nun für ihr Geld arbeitete. Und schlimmer: Was würde geschehen, wenn ihr Bruder davon erfuhr? Würde er sie dann doch vor Gericht zerren?
4. Kapitel
Um zehn Thaler und eine zufriedene Kundin reicher, machte sich Lina einen Tag später auf zu den Wienholds. Werner Wienhold, der Hausherr, begrüßte sie nur kurz, verschwand dann in seinem Arbeitszimmer und ließ seine Frau mit Lina allein. Kurz darauf kam die Tochter herunter, ein ganz entzückendes zwölfjähriges Mädchen mit den gleichen blonden Haaren wie ihre Mutter und klaren, fast strengen Zügen, die ihr eine ungewöhnliche und gar nicht kindliche Schönheit verliehen. Annette trug die Art von Mädchenkleidern, die Lina selbst in ihrer Kindheit verabscheut hatte: zartrosa Pastell mit Rüschen und Schleifchen, ein merkwürdiger Kontrast zu der klaren Schönheit ihrer Züge.
Annette war lebhaft und wissbegierig und beugte sich mit ihrer Mutter und Lina mehr als eine Stunde über die neuesten Modezeitschriften aus Paris, London, Wien und Berlin. Für Lina waren diese Modezeichnungen eine Offenbarung. Unaufhörlich arbeitete es in ihrem Kopf, um all die Eindrücke in sich aufzunehmen und irgendwann verwenden zu können.
So vorbereitet, gingen sie dann hinauf ins Ankleidezimmer, das die Familie gemeinsam nutzte, um die letztjährige Sommergarderobe zu begutachten. Annette war offensichtlich im letzten Jahr um einiges gewachsen, ohne jedoch auch in der Breite entsprechend zugelegt zu haben. Daher passten die meisten Kleider noch, waren jedoch zu kurz.
Die Aussicht, keine komplett neue Garderobe zu bekommen, schien Annette zunächst nicht zu gefallen, sie schmollte ein wenig, bis ihre Mutter ihr klarmachte, dass dies immerhin bedeutete, ihre Lieblingsstücke länger tragen zu dürfen.
Lina beriet sie, welche neuen Kleider aus den Zeitschriften ihr gut stehen würden, hatte aber nicht mit dem Willen der Kleinen gerechnet. Nicht die schlichten Kleider, sondern die mit den Volants, Rüschen, Schleifchen und Röschen sollten es sein und die meisten natürlich wieder im zarten Rosé.
Als Annette zufrieden war und einwilligte, zu ihrer Kinderfrau zu gehen, die sie auch unterrichtete, sah sich Lina in dem großen Ankleidezimmer um. Jutta Wienhold hatte wirklich viele Kleider, sie nahmen fast eine ganze Wand ein und waren auf Bügel gezogen statt in Kisten aufbewahrt, sodass sie jederzeit in gutem Zustand waren. Lina entdeckte auch pelzbesetzte Wintermäntel und Ballkleider aus den teuersten Brokatstoffen.
Die andere Wand war den Anzügen, Hemden und Westen des Hausherrn vorbehalten, aber zu ihrem Erstaunen entdeckte Lina auch Jungenkleidung. Die Wienholds hatten Silvester bei Baron von Sannberg nur von ihrer Tochter gesprochen, gab es noch ein weiteres Kind?
Aber bevor sie fragen konnte, sagte Jutta Wienhold: «Ich habe festgestellt, dass die meisten Frauen hier in Ruhrort alltags eher Grau und Schwarz tragen. Ich finde das zwar langweilig, aber ich möchte unter den Damen nicht wie ein bunter Vogel herumlaufen.»
«Das muss gar nicht langweilig sein.» Lina deutete auf die seidenen Streifen, mit denen sie ihren dunklen Rock verziert hatte. «Aber Sie sollten nicht zu dunkle Kleider tragen, das passt gar nicht zu Ihnen.»
Am Ende des Nachmittags stand fest, was Lina in den nächsten Tagen zu tun hatte: neben den Änderungen und neuen Kleidern für Annette sollten es vier neue Alltagskleider in Hellgrau und Graublau, zwei Nachmittagskleider und drei Ballkleider für Jutta werden, hinzu kamen noch drei schlichte Röcke und umfangreiche Änderungen an dreien der letztjährigen Kleider.
Später begleitete Jutta Lina zu Clara Dahlmann, wo sie einen großen Teil der Stoffe erstanden. Ein paar weitere kauften sie auch bei Levy, Claras Konkurrenz, weil Clara die sehr teuren Tuche stets nur in kleinen Mengen orderte und nicht mit allem dienen konnte.
Trotzdem war Clara hocherfreut, als sie Lina am Abend in der Küche traf, wo sie ihren Tee aufbrühte.
«Ein solches Geschäft habe ich in diesem Jahr noch nicht
Weitere Kostenlose Bücher