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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Vielzahl kleinerer Schläge geben, die eine ebenso große Vielzahl kleinerer Helden – unserer Männer, Frauen und Kinder – austeilt. Keiner von ihnen wird wissen, wie die Schlacht schließlich ausgeht, und nur wenige werden diesen Ausgang auch erleben.«
    Zum erstenmal bemerkte Starkey so etwas wie eine böse Vorahnung in La Valettes Augen.
    »Im Schmelztiegel Gottes strömen unendlich viele Möglichkeiten. Nur Gott weiß, wer letzten Endes für den Ausgang dieser Schlacht den Ausschlag gibt. Ob es der Ritter war, der in der Bresche fiel, oder der Wasserträger, der ihm den Durste stillte, oder der Bäcker, der ihm das Brot buk, oder die Biene, die seinen Feind ins Augenlid stach. So empfindlich ist das Gleichgewicht des Krieges. Deswegen will ich Tannhäuser bei uns haben – um seines Wissens und seines Schwertes willen, wegen seiner Liebe zum Glauben oder seines Hasses auf den Türken.«
    »Vergebt mir, Bruder Jean, aber ich versichere Euch, daß Tannhäuser nicht kommen wird.«
    »Setzt uns Contessa Carla eigentlich noch immer mit Briefen zu?«
    Starkey blinzelte, weil der Großmeister so plötzlich zu einem so trivialen Thema übergegangen war. »Die Contessa von Penautier? Ja, sie schreibt immer noch – die Frau begreift einfach nicht, was eine Weigerung ist. Aber warum fragt Ihr?«
    »Dann benutzt sie als unseren Hebel.«
    »Gegen Tannhäuser?«
    »Der Mann mag Frauen«, sagte La Valette. »Dann sorgt dafür, daß er auch die Contessa mag.«
    »Ich habe sie nie kennengelernt«, protestierte Starkey.
    »In ihrer Jugend besaß sie außerordentliche Schönheit. Ich bin sicher, daß ihr die Jahre keinen Abbruch getan haben.«
    »Das mag ja sein, aber sie ist doch eine Dame von edler Geburt, und Tannhäuser ist – nun ja – beinahe ein Barbar.«
    La Valettes Gesichtsausdruck verbot jegliche weitere Diskussion.
    »Ihr segelt auf der Couronne und bringt Tannhäuser mit nach Malta.«
    La Valette nahm Starkey beim Arm und führte ihn zur Tür.
    »Schickt mir den Inquisitor herein, wenn Ihr gegangen seid.«
    Starkey schlug die Augen nieder. »Ich soll an der Besprechung nicht teilnehmen?«
    »Ludovico begleitet Euch auf der Couronne .« La Valette sah, wie verwirrt Starkey war, und schenkte ihm eines seiner seltenen Lächeln. »Bruder Oliver, Ihr wißt, daß Ihr mir lieb und wert seid.«
    Im Vorzimmer ließ Ludovico Ludovici, Richter und Jurist des heiligen Ordens der Inquisition, gleichmütig die Perlen seines Rosenkranzes durch die Finger gleiten. Ausdruckslos erwiderte er Starkeys Blick, und einen Augenblick lang verschlug es Starkey beinahe die Sprache.
    Genau wie Starkey war Ludovico etwa vierzig Jahre alt, doch waren die kurzen Haare seiner Tonsur noch rabenschwarz undbisher keinen Fingerbreit von der in die Stirn ragenden Spitze zurückgewichen. Die Stirn war glatt, das Gesicht bartlos. Sein langer Oberkörper wies breite Schultern auf. Ludovico war in das weiße Skapulier und den schwarzen Umhang des Dominikanerordens gekleidet. Seine Augen schimmerten wie Kugeln aus Obsidian und zeigten weder Drohung noch Wärme. Als hätten sie die in Sünde gefallene Welt ringsum seit dem Fall Adams betrachtet, nahmen diese Augen alles mit einer Offenheit wahr, die jegliche Freude und jeglichen Schrecken ausschloß, und mit einer außerordentlichen Intelligenz, die unmittelbar zum Kern jeder Sache vorzudringen suchte, auf die sie schauten. Hinter diesen Augen lag wie ein Schatten eine ungeheure Melancholie, als hätte Ludovico eine bessere Welt gesehen, wüßte aber, daß er sie niemals wieder erreichen würde.
    Mach mich zum Hüter der Geheimnisse deiner Seele , schienen die unendlich tiefen schwarzen Augen zu sagen. Lege deine Bürde auf meine Schultern, dann ist dir das Ewige Leben sicher.
    Starkey verspürte das Bedürfnis, sich ihm anzuvertrauen, doch gleichzeitig befiel ihn auch eine ungewisse Furcht. Ludovico war der päpstliche Sonderlegat von Pius IV. bei der maltesischen Inquisition. Jedes Jahr reiste er Tausende von Meilen auf der Suche nach Ketzerei. Unter anderem hatte er Giovanni Mollio, den berühmten Professor aus Bologna, den Flammen des Campo del Fiori überantwortet. Er leitete Herzog Albrecht von Bayern bei dessen brutaler Wiederherstellung des wahren Glaubens an. Während der Säuberungen in Piemont hatte er einen ganzen Zug von Gefangenen, die zur Buße brennende Fackeln trugen, den Autodafés von Rom überantwortet. Trotz alledem war Ludovico von tiefster Bescheidenheit, so demütig, daß es

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