Das Sakrament
keine Verstellung sein konnte. Noch nie hatte Starkey jemanden gesehen, der so große Macht so leicht trug. Auf Malta hatte Ludovico die Aufgabe, unter den Brüdern des Johanniterordens nach lutherischer Ketzerei zu fahnden. Er hatte jedoch noch niemanden festgenommen. Allerdings wurde er wegen dieser Untätigkeit eher noch mehr gefürchtet. Wollte La Valette den Inquisitor in Sizilien in Sicherheitwissen? Oder waren noch andere Intrigen im Spiel? Starkey bemerkte, daß er den Legaten schon ungebührlich lange anstarrte.
Er verneigte sich und sagte: »Eure Exzellenz, der Großmeister erwartet Euch.«
Ludovico erhob sich. Mit einer raschen Bewegung und einem Klirren der Perlen band er sich den Rosenkranz um die Taille. Ohne ein Wort ging er an Starkey vorüber ins Arbeitszimmer des Großmeisters. Die Tür schloß sich hinter ihm. Starkeys Erleichterung wurde durch den Gedanken an zwei Tage Seereise in der Gesellschaft des Dominikaners getrübt. Er begab sich in sein Quartier, um sich auf die Reise vorzubereiten. Ausflüchte und Unehrlichkeit waren nicht gerade seine Stärken, aber in diesen schweren Zeiten verwechselte nur ein Narr Gottesfurcht mit Moral. Er liebte La Valette und seinen Orden. Im Dienste der beiden und ohne Rücksicht auf den Preis, den seine Seele dafür zahlen mußte, war Starkey zu allem bereit.
D IENSTAG , 15. M AI 1565
In der Villa Saliba – In Messina – Auf Sizilien
… mit anderen Worten: Aus militärischen Erwägungen kann ich Euch leider auch weiterhin die Überfahrt auf die Insel Malta nicht genehmigen. Ich bin jedoch in der erfreulichen Lage, Euch eine andere Art zu weisen, wie Ihr Euren sehnlichsten Wunsch erreichen könntet.
Im Hafen von Messina befindet sich ein Mann namens Mattias Tannhäuser, dessen Herkunft viel zu verworren ist, als daß ich sie Euch hier erläutern könnte. Für den Augenblick sei soviel gesagt, daß er nur zur Musik seiner eigenen Trommel marschiert. Er ist zwar ein Ausländer niederer Herkunft, achtet Recht und Gesetz nur wenig und soll ein Atheist oder gar Schlimmeres sein, aber ich kann michdafür verbürgen, daß er zu seinem Wort steht, und Euch versichern, daß ich keinen Grund zu der Annahme habe, daß er Euch ein Leid zufügen würde. Allerdings habe ich auch keinen Grund zu der Annahme, daß er Euch behilflich sein würde. Doch kann ich auch nicht sagen, welche Macht eine Edeldame Eurer Anmut und Schönheit besitzen könnte, um seine edleren Triebe, sollte er sie denn besitzen, anzusprechen.
Ich möchte offen mit Euch reden, Mylady. Die Anwesenheit von Hauptmann Tannhäuser auf Malta wäre für uns im Kampf gegen die Türken von großem Vorteil. Da er uns weder Loyalität schuldet noch sich der drohenden Gefahren bewußt ist, hat er bisher keinerlei Neigung gezeigt, sich uns anzuschließen. Eine heilige Pflicht zum Kampf – ein Sacramentum , in des Wortes erster Bedeutung –, wie es der Orden verspürt, ist ihm fremd. Solltet Ihr ihn dennoch überzeugen können, die Seereise für Euch zu unternehmen, so könnte ich Euch eine Überfahrt als seine Begleiterin garantieren. Die Couronne läuft heute um Mitternacht von Messina aus. Wenn die letzten Berichte, die uns erreicht haben, zutreffend sind, wird dies das letzte christliche Schiff sein, das noch durch die türkische Blockade gelangt.
Ihr findet Tannhäuser in einer Taverne, die »Zum Orakel« heißt und am südlichen Ende des Hafens liegt. Ich kann Euch wohl kaum empfehlen, Euch persönlich in ein solches Etablissement zu begeben, aber ich denke, Tannhäuser wird auf die üblichen Boten wahrscheinlich nicht reagieren. Wie Ihr Euch ihm nähert, hängt davon ab, wie dringend Euer Wunsch ist.
Mein Gewissen gebietet mir, Euch meine schon früher ausgesprochenen Warnungen noch einmal ins Gedächtnis zu rufen: Die Insel befindet sich im Kriegszustand, und die Gefahr des Todes oder der Sklaverei ist für alle, die sich in der nächsten Zeit dort aufhalten, außerordentlich groß. Wenn ich Euch sonst noch mit Rat und Hilfe zur Seite stehen kann, findet Ihr mich bis zur Abreise der Couronne in Messina, in der Priorei der Ritter vom heiligen Johannes von Jerusalem.
Starkeys Schrift war die schönste, die Carla je gesehen hatte.Sie überlegte, wie viele Stunden er wohl als Junge damit zugebracht hatte, diese anmutigen Schwünge, die eleganten Übergänge zwischen den breiten Abstrichen und den feinen Aufstrichen zu vervollkommnen. Seine Schrift war ein Abzeichen der Macht, eine Schrift, die einen
Weitere Kostenlose Bücher