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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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elegant und bequem, mit einem Koch, einer Zofe und einem unverhohlen verächtlichen Verwalter namens Bertholdo. Sie hatte Bertholdo schon gebeten, Hauptmann Tannhäuser im »Orakel« eine Botschaft zukommen zu lassen, aber der kunstvoll vorgetäuschte Schrecken, mit dem der Verwalter auf ihre Bitte reagiert hatte, hatte Carla davon überzeugt, daß es Tage dauern würde, bis sie ihn dazu bringen könnte, ihren Befehl zu befolgen. In jedem Falle würde ohnehin Bertholdos unverbesserlicher Hochmut dafür sorgen, daß er mit seiner Mission nicht erfolgreich sein würde.
    Carla schaute auf den Garten. Amparo kniete in einem Blumenbeet, in ein entzücktes Zwiegespräch mit einer hohen weißen Rose vertieft. Derlei exzentrisches Verhalten war nichts Ungewöhnliches für das Mädchen. Während Carla ihr zuschaute, kam ihr ein Gedanke. Sie fürchtete sich nicht, selbst zum »Orakel« zu gehen. Sie hatte oft genug Verhandlungen mit den Kaufleuten von Bordeaux geführt, aber sie wußte, daß sie sich, wenn sie den berüchtigten Tannhäuser in seiner Höhle aufsuchte, in eine Situation der Schwäche begeben würde. Wenn man ihn hierherlocken könnte, wo sie inmitten aller Anzeichen der Macht residierte, wäre der Vorteil auf ihrer Seite. Amparo würde Tannhäuser viel gewisser in die Villa Saliba bringen als sie selbst. Wenn die üblichen Boten nicht reichten, dann würde eben Amparo die seltsamste Botin sein, die den Mann je besucht hatte.
    Carla trat unter die Palmen, deren Schatten den Pflanzen überhaupt nur das Überleben ermöglichte. Amparo küßte die weiße Rose und stand auf, um sich die Erde vom Rock zu bürsten. Ihre Augen ruhten noch auf den Blumen, als Carla zu ihr trat. Amparo wirkte ruhig. Beim Aufstehen war sie noch bestürzt von dem gewesen,was sie am Abend zuvor in ihrem Zauberglas gesehen hatte. Die Bilder, von denen sie berichtete, waren so unterschiedlich, so außergewöhnlich, daß man es zumeist als puren Zufall abtat, wenn sie einmal auch nur im geringsten mit der Wirklichkeit zusammentrafen. Vom Zufall einmal abgesehen, konnten Symbole jede beliebige Bedeutung haben, je nachdem, wie sie der Betrachter deutete, doch Amparo deutete nie. Sie sah nur.
    Sie hatte ein schwarzes Schiff mit roten Segeln gesehen, dessen Mannschaft aus winzigen, Trompete blasenden Affen bestand. Sie hatte eine gigantische Bulldogge gesehen, der ein Halsband mit eisernen Krallen trug und eine brennende Fackel im Maul hatte. Sie hatte einen nackten Mann gesehen, dessen Körper mit Hieroglyphen bedeckt war und der auf einem Pferd von der Farbe geschmolzenen Goldes ritt. Und während der Mann vorbeiritt, hatte die Stimme eines Engels zu ihr gesprochen: Das Tor steht weit offen, aber der Weg dorthin ist schmal wie eine scharfe Klinge .
    »Amparo?«
    Die Seherin wandte den Kopf. Stets erwartete Carla einen kurzen Augenblick lang, daß sie sich weiterdrehen und in die Ferne starren würde, als bereitete es ihr Schmerzen, einem anderen Menschen in die Augen zu schauen, und als zöge sie es vor, eine Schönheit zu suchen, die für jedermann außer ihr unsichtbar blieb. So hatte es Amparo zumeist in den ersten Monaten getan, die sie miteinander verbracht hatten, und so hielt sie es noch immer mit allen Menschen mit Ausnahme von Carla. Nun jedoch blickte Amparo sie geradewegs an. Ihre Augen waren von unterschiedlicher Farbe, das linke so braun wie der Herbst, das rechte so grau wie der Wind über dem Atlantik. In beiden standen lebendige Fragen, die Amparo aber nie aussprechen würde, als gäbe es noch keine Wörter, in die man sie fassen könnte. Amparo war ungefähr siebzehn Jahre alt. Ihr genaues Alter kannte niemand. Ihr Gesicht war frisch wie ein Apfel und zart wie eine Blüte, aber eine deutliche Vertiefung in dem Wangenknochen unter ihrem linken Auge verlieh ihren Zügen eine verstörende Asymmetrie. Ihr Mund verzog sich niemals zu einem Lächeln. Gott, so schienes, hatte ihr diese Möglichkeit vorenthalten, genauso wie einem Blinden das Augenlicht. Er hatte dem Mädchen auch anderes vorenthalten. Amparo war von einer fremden Macht angerührt – vom Genie, vom Wahnsinn, vom Satan oder von einer Verschwörung aller drei. Sie verweigerte die Sakramente und schien unfähig zum Gebet. Sie hatte schreckliche Angst vor Uhren und Spiegeln. Ihrer eigenen Angabe zufolge sprach sie mit Engeln und konnte die Gedanken von Tieren und Bäumen hören. Sie war von einer leidenschaftlichen Zärtlichkeit für alle Lebewesen erfüllt. Sie war

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