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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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König zwang, genau zur Kenntnis zu nehmen, was gesagt wurde – und das taten die Könige ja auch, denn Starkey schrieb die gesamte diplomatische Korrespondenz des Ordens. Carla hatte ihn noch nicht persönlich kennengelernt. Sie fragte sich, ob er genauso geschliffen war wie seine Kalligraphie oder ob er ein verstaubter, dürrer Mönch war, der über seinen Schreibtisch gebeugt saß. Sie dachte an ihren Sohn und fragte sich, ob er überhaupt lesen und schreiben konnte. Bei dieser Erinnerung daran, wie sehr sie ihre Mutterpflichten ihm gegenüber vernachlässigt hatte, krampfte sich ihr Magen zusammen, und ihr Verlangen, nach Malta zurückzukehren, und ihre Furcht, daß es ihr nie gelingen würde, steigerten sich zu ungeahnter Intensität.
    Carla faltete den Brief zusammen und umklammerte ihn mit der Hand. Seit sechs Wochen korrespondierte sie bereits mit Starkey. Seine vorherigen Verbote einer Rücckehr waren die Antworten eines vielbeschäftigten Mannes gewesen, der eine unwichtige Kleinigkeit abhandelte und sich die Mühe nur aus Achtung vor ihrer edlen Geburt und wegen des großen Namens ihrer Familie gemacht hatte. Im gleichen Zeitraum hatte Carla viele Schiffskapitäne und Ritter, die durch Messina kamen, gebeten, sie nach Malta mitzunehmen. Man hatte ihr mit äußerster Höflichkeit zugehört und gelegentlich auch Hilfe versprochen, und doch war sie noch immer hier und betrachtete von der Villa Saliba aus den Sonnenaufgang.
    Der Großmeister La Valette hatte beschlossen, daß jeder, der nicht in der Lage war, zur Verteidigung der Insel beizutragen, ein »unnützer Esser« sei. Hunderte von schwangeren Frauen, älteren und gebrechlichen Menschen sowie eine nicht genannte Zahl von Mitgliedern des schwindenden maltesischen Adels, gebrechlich oder nicht, waren über die Meerenge von Malta nach Sizilien verschifft worden. Jeder Malteser, der eine Axt oder eine Schaufelhalten konnte, blieb auf der Insel, völlig unabhängig vom Alter oder Geschlecht. Carla, die in den Augen der Ritter eine schwache Edelfrau war, die man zu schützen hätte, war überflüssiger Ballast. Außerdem war der Platz auf den Galeeren, die in den Großhafen zurücckehrten, für kämpfende Männer, Material und Proviant reserviert, nicht für müßige Damen mit einem unerklärlichen Todeswunsch. Carla verachtete Untätigkeit und hielt sich ganz gewiß nicht für schwach. Sie führte ihre eigenen bescheidenen Güter in Aquitanien ohne fremde Hilfe. Sie unterstand niemandes Autorität oder Einfluß. Sie und ihre Gefährtin Amparo waren allein quer durch das Langue d’ Oc geritten, geschützt nur durch die Gnade Gottes und Carlas Klugheit. Der Hugenottenkrieg hatte Narben hinterlassen, und die Lage war nicht ungefährlich, aber die beiden Frauen hatten Marseille unversehrt erreicht und sich ohne Schwierigkeiten nach Neapel und Sizilien eingeschifft. Die Tatsache, daß sie ohne fremde Hilfe so weit gekommen waren, hatte viele Menschen schockiert, denen sie begegneten. Rückblickend gestand sich Carla ein, daß ihre Reise nicht eines gewissen Ungestüms, vielleicht sogar der Unvorsichtigkeit entbehrt hatte. Doch sobald sie sich dazu entschieden hatte, war ihr der Gedanke, daß sie nicht mindestens bis hierher kommen würden, niemals gekommen. Sie war eine Frau, die längst beschlossen hatte, ihr Leben selbst zu bestimmen. Daher hatten sie die Wochen, die sie in der glühenden Hitze von Messina verbringen mußte, sehr ungehalten gemacht. Starkeys Brief war ihr erster Hoffnungsschimmer. Nun besaß sie vielleicht doch einen Wert für die Militärs. Wenn sie diesen Mann Tannhäuser bis Mitternacht auf die Couronne bekam, durfte sie mit ihm reisen.
    Bei allen Verhandlungen mit Starkey, mit den Schiffskapitänen und Rittern hatte Carla niemals den Grund enthüllt, warum sie nach Hause gehen wollte. Damit hätte sie in deren Augen nur den Verdacht bestätigt, daß sie tatsächlich die überspannte Frau war, für die man sie hielt. Sie verbarg ihre Motive allerdings nicht nur aus diplomatischen Gründen. Sie wahrte ihr Geheimnis auch aus Scham. Sie hatte einen Sohn, einen Bastard, den man ihr vor zwölfJahren aus den Armen gerissen hatte, und sie glaubte, daß ihr Sohn in Malta war.
    Carla öffnete die Glastür, die einen Blick auf den Garten freigab. Die Salibas, entfernte Verwandte ihrer eigenen Familie, den Manducas, hatten sich nach Capri zurückgezogen, um dem sizilianischen Sommer zu entkommen, und hatten ihr das Gästehaus überlassen. Es war

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