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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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waren. Nun könnte sich die Lage tatsächlich ändern. Würde Starkey es erlauben? Würde Tannhäuser es erlauben? Zum erstenmal antwortete Carla, ohne zu wissen, ob sie ihr Versprechen würde halten können. »Ich würde dich niemals hier zurücklassen.«
    Wieder leuchtete ernste Freude auf Amparos Gesicht, und sie äußerte eine weitere Eingebung: »Trage das rote Kleid.«
    Amparo sah Carlas Gesicht. »O ja, das rote Kleid«, beharrte sie. »Du mußt es tragen.«
    Carla hatte sich dieses Kleid in Neapel schneidern lassen, aus Gründen, die sie nicht einmal zu jener Zeit hatte erfassen können. Der Ballen Seide hatte ihre Aufmerksamkeit gefesselt: eine Phantasie von Farbe, die aus Samarkand durch die Wüste und über das Meer hierhergelangt war. Der Schneider hatte sie in ihren Augen gespiegelt gesehen und die Hände gefaltet, als stehe er mit einer ihrer Visionen in Verbindung, die sie selbst noch nicht gesehen hatte.
    Als sie eine Woche später das Kleid zum ersten Mal angezogen hatte, hatte ihre Haut vor Wonne geseufzt, ihr Herz hatte wild geschlagen, und ein Gefühl, das beinahe schon Panik war, hatte ihr den Hals zugeschnürt. Es war, als sei sie an etwas erinnert worden, das in ihr schlummerte, vor dem sie sich aber mehr als vor allem anderen fürchtete, das sie schon längst zu vergessen beschlossen hatte. Als sie aus dem Umkleidezimmer trat, waren Amparos Augen groß und tränenfeucht geworden. Vor dem Spiegel stehend, hatte Carla eine Frau gesehen, die sie nicht kannte und die es nicht geben durfte. Und obwohl es ihr sofort teurer war als jeder andere Besitz, den sie je gehabt hatte, wußte sie auch, daß sie dieses wunderbare Kleid niemals tragen würde, denn der Augenblick, in dem sie die Frau im Spiegel werden konnte – zu werden wagte –, würde niemals kommen. Das Kleid war für eine Frau in voller Blüte gemacht, und sie hatte den Frühling und Sommer ihres Lebens bereits hinter sich. Das Kleid lag in ihrer Reisetruhe, fein in das Seidenpapier gehüllt, in das sein Schöpfer es damals eingeschlagen hatte.
    »Es hat nie eine passende Gelegenheit gegeben«, antwortete Carla. »Und jetzt ist sie es gewiß nicht.«
    »Wenn nicht jetzt, wann dann?« fragte Amparo.
    Carla schaute weg. Amparo blieb beharrlich.
    »Wenn Tannhäuser über den messerscharfen Grat wandert, mußt du es ihm gleichtun.«
    Es lag eine gewisse Logik darin, aber es war Amparos Logik.»Ganz gleich, wie bemerkenswert dieser Mann ist, rote Seide wird er sicherlich nicht tragen.«
    Amparo schüttelte traurig den Kopf.
    »Nun, genug von diesen törichten Hirngespinsten«, sagte Carla. »Bitte geh jetzt!«
    Sie schaute Amparo nach, die zum Haus rannte, und fragte sich, wie es wohl sein mochte, so ganz ohne jede Furcht zu leben, ohne Schuld und Scham – so wie Amparo lebte. Eine Ahnung von einem solchen Leben hatte Carla an jenem Morgen im Frühling verspürt, als sie von Aquitanien nach Sizilien aufgebrochen waren. Zwei Wahnsinnige auf einer Reise, von der sie wußte, daß sie beide sie niemals zu Ende führen würden. An jenem Morgen hatte Carla sich frei gefühlt, frei wie der Wind in ihrem Haar.
    Carla ging zum Gästehaus zurück. Sie würde in der Hauskapelle der Villa einen Rosenkranz beten und um Erfolg für das Mädchen bitten. Wenn Amparo allein vom »Orakel« zurücckehrte, war ihre Suche zu Ende.

D IENSTAG , 15. M AI 1565
In der Taverne »Zum Orakel« – In Messina – Auf Sizilien
    Grelles Tageslicht und der Gestank von Abwasser aus dem Hafen drangen durch die Türen des Lagerhauses zu dem bunt zusammengewürfelten Häuflein von Männern, Kriminellen und Militärs aller Ränge und aller Länder. Es herrschte ein Gefühl allgemeiner Erregung. Taschendiebe, Matrosen, Schmuggler, Soldaten, Bravi und Schiffsmaler hockten an den groben Wirtshaustischen und vertranken ihr Salär. Die Gespräche handelten wie immer von der unmittelbar bevorstehenden Invasion auf Malta und von den grausamen Türken und den Seltsamkeiten des Islams. Ihr Mangel anWissen über all diese Themen mochte ja beinahe schon vollkommen sein, aber solange die Männer fleißig becherten, hatte Tannhäuser keinen Grund zur Beschwerde. Er hatte die feste Absicht, Gewinn aus diesem Krieg zu schlagen, ganz gleich, wer als Sieger daraus hervorging. Also wahrte er seinen inneren Frieden, wie das ein weiser Mann machte, und widmete seine ganze Aufmerksamkeit dem wie gewöhnlich späten Frühstück, das aus einer schmackhaften Blutwurst aus dem Benediktinerkloster von

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