Das Sakrament
Gefühlsüberschwang, den er bei seiner Rückkehr empfunden hatte, war einer Schwäche gewichen, die nach den Strapazen seines Fußmarsches von Mdina nach Birgu wieder mächtig zutage getreten war. Bors hatte einige verletzte Soldaten aus Starkeys Räumen verbannt, um Tannhäuser eine angemessene Unterkunft zu bieten. Mattias hatte gut gegessen, in den Werken Roger Bacons gelesen, die Starkey in einer schönen Ausgabe in italienischer Sprache in seiner Bibliothek hatte, und sich gegen den Lärm der Bombardierung die Ohren mit Wachs verstopft. Er hatte auch tagsüber so viel wie möglich geschlafen. Allerdings hatte man ihn wiederholt aufgefordert, sich zu langwierigen Besprechungen zu Großmeister La Valette zu begeben.
Diese Versammlungen fanden stets im Hauptquartier von La Valette statt, das man von der Feste von St. Angelo inzwischen auf den Hauptplatz der Stadt verlegt hatte. Dies galt weithin als Geste der Verbrüderung mit der leidenden Bevölkerung, doch Tannhäuser begriff, daß La Valette schlicht näher am Ort des Geschehens sein wollte. Der Großmeister war beinahe der einzige in der ganzen Garnison, der noch Energie und Lebenskraft ausstrahlte.Er wirkte um zehn Jahre jünger, als er war, und plagte Tannhäuser mit endlosen Gesprächen über die Verluste der Türken, über ihre Waffenarsenale und ihren Proviant, den Zustand ihrer Kanonen, die Technik der mameluckischen Ingenieure, die ihre Gräben zu den Stadtmauern zogen, und über Mustafas Pläne. Zumindest diese Pläne schienen Tannhäuser ziemlich klar zu sein. Mustafa würde so lange weiter die Mauern mit Kanonenkugeln beschießen und mit Menschen berennen, bis er die Festungen eingenommen hatte. Bei den Meldungen, die Gullu Cakie mitgebracht hatte, war auch ein Schreiben von Vizekönig Garcia de Toledo aus Sizilien gewesen. Darin versprach Toledo bis Ende August zehntausend Mann Entsatz. Da er jedoch ein ähnliches Versprechen schon Ende Juni nicht eingehalten hatte, schenkte La Valette diesen Worten keinen Glauben.
»Toledo würde nicht an Prestige verlieren, wenn Malta fiele«, sagte La Valette. »Aber den Verlust der spanischen Mittelmeerflotte würde er nicht verschmerzen.« Ohne sichtliches Bedauern fügte er noch hinzu: »Wir sind allein.«
Am 12. August hatte La Valette die päpstliche Bulle öffentlich bekanntgemacht, die Seine Heiligkeit Pius IV. zu ihren Gunsten verfaßt hatte. Dieses Dokument versprach jedem die Vergebung aller Sünden und unverzüglichen Eintritt ins Paradies, der in diesem Heiligen Krieg starb. Das Pergament wurde in San Lorenzo ausgestellt, wo die Gläubigen gebannt auf die wunderschöne lateinische Schrift und das von Seide umhüllte rote päpstliche Wachssiegel blicken konnten, in dem der Abdruck des Fischerrings zu sehen war. Die Wirkung war durchschlagend gewesen. Tannhäuser jedoch hegte nicht die Absicht, sich zusammen mit den Gläubigen begraben zu lassen.
Er konnte sich keinen guten Grund denken, warum das Boot, das er zwei Monate zuvor gestohlen und bei dem Dörfchen Zonta versteckt hatte, nicht mehr dort sein sollte, wo er es eingegraben hatte. Die Schwierigkeit lag nur darin, es zu erreichen. Der Kreis aus Kanonen und Stahl, den die Türken um die Stadt gezogen hatten, war enger geworden, als er vermutet hatte. Noch immer hatteer keine Lösung für die Frage, wie sie durch das Kalkara-Tor kommen sollten. Gewöhnlich war eine Wache am inneren Blockhaus postiert, und eine Nachtwache stand oberhalb des Tores an den Bastionen von England und Deutschland. Seine Bereitschaft, dem Ritterorden zu dienen, hatte zwar stark gelitten, aber trotzdem wollte er das Ausfalltor nicht für die Türken offenstehen lassen.
Allein Bors zog er bei seinen Überlegungen ins Vertrauen. Tannhäuser war sich keineswegs sicher, daß Carla überhaupt bereit war, die Stadt zu verlassen. Sie verrichtete hingebungsvoll ihre Arbeit – ihr Sacramentum , ihre heilige Pflicht, wie sie es genannt hatte. Nichts, nicht einmal die wildesten Ausschweifungen, konnte einen Menschen mehr mit Haut und Haaren vereinnahmen als Heldentaten, und Carla hatte sich als wahre Heldin erwiesen. Viele hielten sie schon für eine Heilige, zündeten in der Verkündigungskirche Kerzen für sie an, um für ihre Befreiung zu beten, segneten sie, wenn sie auf der Straße an ihnen vorüber schritt, und küßten den Saum ihres Gewandes. Ritter vertrauten ihr den Schutz ihres Lebens an. Zahllose Männer schrieben ihr Überleben nur Carlas Pflege zu, und etliche mehr
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