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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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äußerster Disziplin seine Leidenschaft vor Carla verborgen gehalten und war ihr aus dem Weg gegangen. Einzig Anacleto wußte von seinen Gefühlen. Ludovico war kein Experte auf dem Gebiet der Liebe, doch ihm war klar, daß Liebe die komplizierteste aller menschlichen Empfindungen war. Logik und Instinkt hatten ihm deutlich vor Augen geführt, daß es ihm nicht gelingen würde, Carla noch während der Belagerung für sich zu gewinnen. Er würde bis zum Frieden warten müssen. Eine Zeitlang hatte ihm ihre Musik Kraft geschenkt, die Kraft, durchzuhalten und weiterzukämpfen, das Feuer seiner Liebe zu mäßigen, doch nun war Tannhäuser zurückgekehrt. Ein Sturm des Zorns und Schmerzes hatte sein Herz ergriffen, denn plötzlich hatte er verstanden, daß sie in Wirklichkeit nur für den Deutschen gespielt hatte.
    Carla spielte immer noch, wie man ihm zugetragen hatte, aber mittlerweile in der Herberge von England – einzig für Tannhäuser und dessen kriminelle Kumpane. Ludovico hob den Kopf, stand auf und wandte sich von dem leeren Schlachtfeld ab.
    »Anacleto«, sagte er.
    Sofort drehte sich sein Gefährte zu ihm um. Im Mondlicht schien sein Gesicht aus Elfenbein geschnitzt zu sein. Ludovicos Beziehung zu dem Spanier war die engste und dauerhafteste seines ganzen Lebens. Bei den Säuberungsaktionen gegen die Waldenser hatten sie zusammen Tausende sterben sehen. Hier auf den Befestigungswällen von St. Michael hatten sie Schulter an Schulter gekämpft. Ihre Beziehung hatte so lange angehalten, weil sie unbelastet war von allen Gefühlen, daher auch frei von jeglicher Lüge. In einer Welt ständigen Betrugs war Anacletos Treue kostbar. Ludovico liebte ihn wie einen Sohn, aber nun wußte er, daß er einen eigenen Sohn hatte: Orlandu. Der Junge lebte mitten unter den moslemischen Teufeln. Ludovico zwang sich zur Geduld. Mit der Zeit würde er sie beide für sich gewinnen, Mutter und Sohn.
    »Du hast die Liebe kennengelernt«, sagte Ludovico.
    Anacleto hatte seinen Vater erstochen und seine Mutter erwürgt. Seine Schwester Filomena war für das Verbrechen des Inzests aufgehängt worden. Die Ländereien, die er hätte erben sollen, waren konfisziert worden. Ehe Ludovico sich seiner angenommen hatte, hatten Eiferer Anacleto gefoltert, und doch hatte er sich ungerührt gezeigt und keinerlei Reue an den Tag gelegt. Anacleto nickte mit müden Augen.
    »Sie hat dich sehr viel gekostet«, fuhr Ludovico fort.
    Anacleto betrachtete ihn eine Weile. Ludovico war betrübt über den Aufruhr, den er nun in dessen Augen sah.
    Anacleto erwiderte: »Es hätte mich noch viel mehr gekostet, sie nicht gekannt zu haben.«
    Ludovico verstand. Er wünschte sich, er wäre auch so mutig gewesen. Er nickte.
    »Und Filomena und ich werden einander wieder begegnen«, sagte er. »Im Himmel oder im Wirbelwind aller Liebenden.«
    Daß Anacleto für seine Leidenschaft selbst die Hölle erdulden würde, verstand Ludovico auch. Er sagte: »Ich versichere dir, daß es eher im Himmel sein wird. Die Kirche hat dir deine Sünden vergeben, so wie sie auch Filomena nachträglich noch ihre Sünden vergeben hat. Christus ist barmherzig.«
    Als könnte er seine Gedanken lesen, fragte Anacleto: »Möchtet Ihr, daß ich den Deutschen umbringe?«
    Plötzlich hellte sich Ludovicos Stimmung auf. Die Tapferkeit des jungen Mannes hatte seine eigene Kraft neu erweckt. Er würde nicht mehr jammern wie ein Weib. Er lächelte. »Du bist meine Stärke«, sagte er. »Um deine Frage zu beantworten: Nein, die Zeit ist noch nicht reif dafür. Tannhäuser kann uns noch gute Dienste leisten.«
    »Wie?« wollte Anacleto wissen.
    Ludovico behielt seine Gedanken für sich. »Das wird Gott uns mit der Zeit enthüllen.«

S AMSTAG , 18. A UGUST 1565
In der Bastion von Deutschland – In der Wanne – In der Bastion von Kastilien
    Unter den vielen Prüfungen und Fragen, mit denen sich Tannhäuser seit seiner Rückkehr geplagt hatte, hatte ihn eines ganz besonders beschäftigt: Wie würde er wieder aus diesem Ort herauskommen – zudem noch mit Carla, Amparo und Bors im Schlepptau? Seine Freude darüber, wieder mit den Gefährten vereint zu sein, würde nicht lange anhalten, wenn die Aussicht mit jedem Tag wahrscheinlicher wurde, bald gemeinsam in einem Grab zu liegen. Dinge geschahen jedoch nicht nur, weil man sie glühend herbeiwünschte. Selbst ein furchtloser Mann – und so fühlte er sich in seinen besseren Augenblicken – konnte ein Opfer widriger Umstände werden.
    Der

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