Das Sakrament
Herz schnitt.
»Bors«, sagte er. »Bring du die Instrumente mit! Wir gehen zur Herberge zurück. Und wenn wir es uns dort gemütlich gemacht haben, erzähle ich euch allen eine Geschichte, die ihr niemals vergessen werdet.«
TEIL IV
V ON L ÖWENGRUBEN UMGEBEN
M ARIÄ H IMMELFAHRT : M ITTWOCH , 15. A UGUST 1565
Auf dem Posten von Italien – In der Festung St. Michael
Der Mond stand im Wassermann. Gelegentlich dröhnten Belagerungskanonen, und die Mauern unter Ludovicos Füßen bebten, wenn eine Kanonenkugel traf. In den Gräben, die man in die Berge getrieben hatte, und jenseits davon, auf der Ebene von Marsa, ruhten sich die Türken von den anstrengenden Rückschlägen der letzten Tage aus. Ludovico betrachtete die Schatten in der Ruine von Bormla und dachte darüber nach, welche Schatten auf seine eigene Welt gefallen waren.
Ludovico hatte Tannhäuser in jener Nacht gesehen, als der Deutsche in Birgu angekommen war. Daß sein Widersacher noch immer lebte, beunruhigte ihn nicht. Der Großmeister schätzte dessen militärisches Geschick, und in dieser Hinsicht war Ludovico genauso dankbar für Tannhäusers Anwesenheit wie alle anderen. Doch warum war der Mann unter solchen Gefahren zurückgekehrt? Tannhäuser hatte eine Liebelei mit Amparo, dem spanischen Mädchen, und wollte doch Carla heiraten, wie sie behauptet hatte. Es war eine seltsame Konstellation, die gleichwohl nicht völlig ungewöhnlich war. Schließlich war in der Liebe alles möglich. Auch Ludovicos eigene Rückkehr nach Malta hatte ja damit zu tun gehabt, daß er Carla hier wußte. Gewiß aber war dieser barbarische Deutsche über derlei ritterliche Erwägungen erhaben. Vielleicht bildete er sich ein, er könnte die Frauen beschützen, falls die Türken die Festung einnahmen. Oder er hegte Fluchtpläne mit ihnen, wenn sich Ludovico auch nicht vorstellen konnte, wie er mit ihnen entkommen wollte. Dennoch durfte er die List und Tücke dieses Deutschen nicht unterschätzen. Außerdem hatte er gesehen, wie er die Frauen an seine Brust gedrückt und wie sie vor Erleichterung geweint hatten.
An dem Tag, der sich nun seinem Ende zuneigte, hatte man feierlich die Aufnahme der Heiligen Gottesmutter Maria in den Himmel begangen. Das Fest war den Bewohnern der Stadt, die große Verluste erlitten hatten, ein großer Trost. Mit Hilfe einiger Tercios und eines Knaben, der Unsere Liebe Frau spielte, hatte ein Kaplan aus Valencia ein Mysterienspiel aufführen lassen, in dem man den Tod der Jungfrau und – nach einem Kampf zwischen den Aposteln und den Juden um ihre sterblichen Überreste – die fünf Engel gezeigt hatte, die ihre Seele hinauf bis zur Pforte des Paradieses trugen. Dort wurde Maria unter Fanfaren, Glockenläuten, und Trompetenschall zur Himmelskönigin gekrönt. Die knorrigen spanischen Soldaten, welche die fünf Engel spielten, taten der Ehrfurcht und Freude der Menge an diesem Schauspiel keinen Abbruch. Das fromme Bauernspiel hätte auf Ludovico nur wenig Eindruck gemacht, wenn nicht Carla auf ihrer Gambe die musikalische Begleitung übernommen hätte. Sie hatte mit so überschwenglicher Leidenschaft gespielt, daß sie dieses primitive Ritual zu einem unvergeßlichen Erlebnis erhob.
Ludovico lehnte die Arme auf die steinerne Brüstung und stützte den Kopf auf die Arme. Er war völlig erschöpft – wie jeder Mann in der Festung, La Valette vielleicht ausgenommen. Mit körperlicher Erschöpfung war Ludovico schon seit vielen Jahren vertraut, doch nun merkte er, daß auch sein Gehirn immer langsamer arbeitete, und das war für ihn eine völlig neue Erfahrung. Er schlief schlecht. Verzweiflung lauerte in den finsteren Winkeln seiner Gedanken. Wo ihn früher sein scharfer Intellekt stets mit Leichtigkeit getragen hatte, kroch er nun schwerfällig dahin. All das hätte er dem Krieg zuschreiben können, denn vielen ging es ähnlich. Doch er war einer weitaus mächtigeren Krankheit zum Opfer gefallen. Ständig grübelte er hilflos über Carla nach. Seine Sehnsucht nach ihr nagte an ihm. Selbst Gebete spendeten ihm nur schwachen Trost. Carlas wunderbare Gambenmusik während des Mysterienspiels hatte seine gegenwärtige Melancholie ausgelöst. Er vermißte die Musik, die sie zusammen mit der Spanierin unten bei den Felsen gespielt hatte. Jeden Abend war er hingegangen, um den beidenzuzuhören. So groß war seine Narrheit, daß er sich zuweilen die Vorstellung gestattete, sie spiele nur für ihn.
Trotz all dieser absurden Gedanken hatte er mit
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