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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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waren leichteren Herzens in ihren Armen gestorben.
    All das hatte Tannhäuser mit eigenen Augen gesehen. Es hatte seiner Sehnsucht nach ihr keinen Abbruch getan. Erst neulich hatte ihn Bruder Lazaro aufgesucht und sich bei ihm dafür bedankt, daß er ihm Carla vorgestellt hatte. Reumütig hatte der Geistliche einen Scherz über sein anfängliches Zögern gemacht, sie überhaupt für sich arbeiten zu lassen. Dieser Scherz konnte sich nun sehr wohl auch gegen Tannhäuser richten. Heldentum und Heiligkeit führten nur zu leicht zum Martyrium. In seinen Plänen aber spielten weder Carlas noch sein Tod eine Rolle.
    Amparo würde sich mit der Flucht einverstanden erklären. Soweit Tannhäuser es beurteilen konnte, hatte sie sich in all dem Chaos ringsum die Gleichgültigkeit einer heiligen Närrin bewahrt. Sie hatte ihn zu den Stallungen geführt, um ihm Buraq zu zeigen, der bei besserer Gesundheit war, als er jemals zu hoffen gewagt hatte. Bei ihrer Ankunft steigerte das Pferd sich in einensolchen Glückstaumel hinein, daß es damit selbst die kriegsmüden anderen Rösser beinahe zu einem Aufruhr angestachelt hätte. Buraq konnte die Stadt nicht mit ihnen zusammen verlassen. Bestenfalls würde er in die Hände eines türkischen Generals fallen und umsorgt und gehegt werden.
    Sehr oft dachte Tannhäuser an Orlandu. Der Junge hatte sich einen festen Platz in seinem Herzen erobert. Daß Orlandu sich vorerst in Sicherheit befand, bereitete ihm Erleichterung.
    »Branntwein mit Opium versetzt«, schlug Bors vor, als sie von ihrem Wachtposten am Kalkara-Tor abgelöst wurden. »Mit solch einem Trunk würde der Wachtposten am Blockhaus in einen seligen Schlaf fallen.«
    »Ich weiß nicht, wie man aus Opium einen Extrakt destilliert und in einer Tinktur verarbeitet«, erwiderte Tannhäuser. »Petrus Grubenius ist auf dem Scheiterhaufen verbrannt, ehe er mir dieses komplizierte Verfahren beibringen konnte. Branntwein im Trunk und Opium in einem Kuchen – das würde eine ebensogute Wirkung tun. Wenn wir ihm jeden zweiten Abend eine solche Delikatesse anbieten, allerdings ohne Mohn, schöpft er keinen Verdacht, wenn dann der richtige Augenblick gekommen ist.«
    Bors überlegte: »Ich wüßte zu gern, ob sie den Kerl dafür aufhängen würden.«
    Einen Augenblick lang fragte sich Tannhäuser, ob sein Freund den Verstand verloren hatte. Vielleicht waren seine Gottlosigkeit, seine Verachtung für blinden Gehorsam, sein entschlossener Einsatz für alle, die seiner Sorge anvertraut waren, ganz gleich mit welch betrügerischen und brutalen Methoden auch immer, einfach nur böse.
    Er antwortete: »Es ist schon seltsam, ein Mann des Teufels zu sein, wenn alle ringsum für Gott kämpfen.«
    Bors erwiderte: »Ich habe es dir schon oft gesagt, aber du hörst mir ja nicht zu. Philosophieren ist ungesund. All das Gerede von Kuchen hat mir Hunger gemacht. Laß uns frühstücken gehen.«
    An der Bastion von Deutschland begegneten sie zwei skandinavischen Ordensbrüdern aus der letzten baltischen Priorei, dienoch gegen die Lutheraner standgehalten hatte. Bors winkte ihnen fröhlich zu. Keiner grüßte zurück.
    »Schweden«, knurrte Bors. »Ein schlaues Volk. Sie und der ganze Rest der deutschen Zunge sind beleidigt, weil sie noch keine echten Kämpfe ausfechten durften. Ein schönes Durcheinander herrscht bei ihnen – alle möglichen Polen, ein Norweger, zwei Dänen und ein seltsamer Vogel aus Moskau, der behauptet, Iwan den Schrecklichen zu kennen. Wenn die Nordmänner sich einschalten, wird die Sache noch einmal ganz anders aussehen, das sage ich dir.«
    »Mir würde dann auch eine Rolle als Zuschauer reichen«, meinte Tannhäuser. »Zieh uns bloß nicht wieder mit in die Sache hinein.«
    Als sie die Mauertreppe hinuntergingen, erbebten die Steine ringsum unter einem plötzlichen Beschuß. Im Tageslicht sahen sie schwarze Punkte durch den Himmel im hohen Bogen auf L’Isla zufliegen. Das Fischerdorf L’Isla existierte eigentlich nicht mehr. Kein einziges Haus war unbeschädigt, nur wenige waren überhaupt noch stehengeblieben. Die Festung von St. Michael ähnelte St. Elmo in seinen letzten Tagen. Nur noch selten kamen Mitglieder der dort stationierten Garnison über die Bootsbrücke nach Birgu, als fürchteten sie, der Gedanke an eine Rückkehr – nachdem sie einmal am anderen Ufer waren – könnte unerträglich sein. Statt dessen verharrten sie dort drüben im Chaos, umgeben von Schmeißfliegen, Leichen und Ratten. Soweit Tannhäuser wußte,

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