Das Sakrament
wenn es ihnen paßte. Doch wehe dem Mann, der gleiches versuchte, aus welch hehren Motiven auch immer.
»In Spanien«, sagte sie, »kämpfen Männer mit Speeren gegen Stiere, wußtest du das?«
Auf diese Frage war er nicht gefaßt gewesen, genausowenig wie auf ihren ungebetenen Besuch in seiner Wanne.
»Natürlich«, antwortete er. »Ich habe gehört, daß Karl V. selbst Stiere mit der Lanze erlegt hat. In Valladolid.«
Amparo fragte: »Weißt du, wie sie einen Kampfstier finden?«
»Nein. Sag’s mir.«
»Sie treiben alle Stiere einer Finca in großen Herden zusammen – fünfzig Stiere, hundert, eine gewaltige Menge riesiger Tiere. Dannjagen die Hirten sie weiter, peitschen sie, schreien, bis sie nur noch ein Herz, einen Geist, eine Seele haben – ein einziges wildes und rasendes Geschöpf sind, das nach vorne stürmt, immer voraus. Wenn eine Schlucht vor ihnen läge, würden sie sich hineinstürzen und wie ein einziges Wesen sterben. Wenn die See vor ihnen läge, würden sie in die Wellen rennen und wie ein einziges Wesen ertrinken.«
Trotz anderer mächtiger Ablenkungen stellte Tannhäuser fest, daß ihn ihre Erzählung fesselte.
»Aber aus dieser großen Herde, aus diesem einzigen wilden Geschöpf, das über die im Sonnenuntergang blutrot schimmernde Ebene ins Nichts prescht, löst sich schließlich ein einziger Stier. Ein Stier, der nicht mit den anderen rennt. Er fürchtet die Hirten und ihre Peitschen nicht. Er erobert sein Herz, seinen Kopf, seine Seele zurück. Er rennt allein, getrennt von den anderen, in seine eigene Richtung.«
Tannhäuser wurde atemlos bei dem Gedanken an einen solchen Anblick, an ein solches Geschöpf.
»Herrlich«, sagte er. »So finden sie den Kampfstier.«
Amparo schüttelte den Kopf. Sie lehnte sich näher zu ihm und starrte ihn aus ihren verschiedenfarbigen Augen an. Sie war eine fabelhafte Geschichtenerzählerin.
»Er könnte der Kampfstier sein«, fuhr sie fort. »Die Hirten bringen ihn in die Berge, weit weg von seinen Brüdern, weit weg von allem, was der Stier je gekannt hat. Dort lassen sie ihn zurück, allein und verlassen in einem seltsamen neuen Land, und gehen fort.« Sie deutete mit der Hand wie auf einen fernen Horizont.
Sie legte eine Pause ein und schaute zu ihm. Dann lehnte sie sich zurück.
»Eine Woche später gehen sie den Stier holen. Wenn er mager und wahnsinnig geworden ist und wegläuft, weil er sich fürchtet, oder auf sie zuläuft, weil er einsam ist, dann töten sie ihn sofort mit ihren Speeren und verzehren sein Fleisch.« Sie lächelte. »Wenn er aber stark und stolz ist und ein schimmerndes Fell hat und reglos dasteht und sie anstarrt, schnaubt und wütend den Staub mit den Hufen aufwirbelt, als hätten sie ein Königreichbetreten, in das sie keinen Zutritt haben und in dem sie nicht willkommen sind, dann wissen sie es.« Amparo nickte. »Dann wissen sie, daß er der Kampfstier ist.«
Tannhäuser spürte eine unbeschreibliche Freude, war zwischen Lachen und Weinen hin und her gerissen. Er liebte dieses außergewöhnliche Geschöpf, das er bisher nicht gekannt hatte, das aber doch in seinem Herzen gelebt hatte und ihm nun so lebhaft vor Augen stand, als könnte es selbst hier als Traumbild jeden Augenblick auf ihn zustürzen und ihn aufspießen, wenn er es zu lange anstarrte.
»Es ist eine seltsame Geschichte«, sagte er. »Der Stier hat die geistige Größe, nicht mit der großen Masse zu leben – und zu sterben. Und doch ist er genau durch diese Eigenschaft als der auserwählt, der vom Schicksal geopfert werden muß.«
Amparo streckte die Hand aus und wischte ihm über die Augen. Sie lächelte ihr Katzenlächeln.
»Sag mir, wie bekommen sie dieses großartige Geschöpf in die Stierkampfarena?« fragte er.
»Die Hirten haben ihre Methoden. Sie sagen, der einzige, der den Stier noch besser kennt als sie, ist der Rejoneador , in dem Augenblick, wenn er das Tier tötet.«
»Beim Heiligen Kreuz«, begriff er plötzlich, »du hast die Suche nach dem Stier mit eigenen Augen beobachtet.«
»Mein Vater war Hirte.«
»War?«
»Eines Tages wollte ein Stier lieber in den Bergen kämpfen als auf der Plaza.«
Tannhäuser fragte sich, ob ein Stier ihr die Narbe in ihrem Gesicht beigebracht hatte. Dieser Gedanke war ihm lieber als die Vorstellung, ein brutaler Mann hätte es getan haben können. Er fragte sie aber nicht danach.
»Du bist also auch eine Nomadin«, sagte er.
»Eine Nomadin?«
»Eine, die wandert, immerzu, die keine Heimat
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