Das Sakrament
den Namen seines Opfers kannte, aber er sagte nichts.
Tannhäuser deutete nach Süden, in Richtung Syrakus. »Nicht weit von hier wurde der große Archimedes gleichfalls umgebracht, von einem römischen Soldaten, der weder lesen noch schreiben konnte, nur weil er mathematische Zeichen in den Staub gezeichnet hatte.« Er wandte sich wieder Ludovico zu. »Es ist tröstlich, daß in den vielen Jahrhunderten, die sich inzwischen aufgehäuft haben, Rom die gelehrten Männer immer noch genauso sehr bewundert.«
Niemand hier hatte je gehört, daß jemand einen Inquisitor des Mordes angeklagt hatte. Das gleich zweimal zu hören versetzte Bors und Gonzága in fassungsloses Staunen.
Ludovico nahm es gelassen. »Mich tröstet, daß die Ordnung über die Anarchie triumphiert hat. Und die Ketzerei – der Feind jeglicher guten Ordnung – ist im Hochmut gelehrter Männer verwurzelt. Wer das Wort des Ewigen hört, der braucht keine Gelehrsamkeit, denn Gelehrsamkeit allein ist keine Tugend, sondern oft sogar der Weg in die ewige Finsternis.«
»Ich stimme Euch zu, daß Gelehrsamkeit keine Garantie für Tugendhaftigkeit ist, denn der Beweis dafür steht hier vor mir.« Tannhäuser konnte spüren, wie sich ihm Bors’ Blicke in den Rücken bohrten, aber er war gerade in Stimmung gekommen. »Und was die ewige Finsternis betrifft: So führen breitere Wege dorthin als die Gelehrsamkeit.«
»Was nützt uns Wissen ohne Gottesfurcht?«
»Wenn Gott menschliche Stellvertreter braucht, damit wir Ihn fürchten, dann müßt Ihr mir sagen, was für ein armseliger Gott Er dann sein muß.«
»Ich bin kein Stellvertreter Gottes«, antwortete Ludovico, »sondern ein Vertreter der einen wahren Kirche.« Er wies auf die Ritter am Kai. »Diese edlen Ritter von Johannes dem Täufer, deren Tapferkeit Ihr doch sicher anerkennt, sind gekommen, um das Kreuz gegen den Islam zu verteidigen. Der Krieg, den unsere Mutter Kirche um ihr Überleben führt, ist wesentlich verzweifelter. Von allen Seiten wüten die Feinde gegen sie, und die allerschlimmsten wurden in ihren eigenen Reihen gezeugt. Der Kriegder Kirche läßt sich nicht in Wochen, nicht einmal in Jahren, sondern nur in Jahrtausenden messen. Hier steht nicht nur eine Armee auf dem Spiel, nicht nur eine Insel oder ein Volk, sondern vielmehr das Geschick der gesamten Menschheit für alle Ewigkeit. Mein Ziel ist daher nicht, Furcht und Schrecken zu verbreiten, sondern den Felsen zu verteidigen, auf den Petrus die Gemeinde Christi begründet hat.«
»Es stimmt, ich ehre diese Ritter«, sagte Tannhäuser, »aber sie sind gekommen, um mit den tapfersten Kriegern der Welt die Klingen zu kreuzen. Nicht um die Machtlosen zu foltern und die Schwachen hinzurichten.«
»Und das Paradies mit all seinen Heiligen ist ihnen als Belohnung sicher. Doch auch Ihr tragt ein Schwert. Wenn Ihr in Eurem Herzen glaubt – an jenem Ort, wo selbst Ihr die Stimme Gottes hört –, daß Ihr Seine Welt vom Bösen befreien könnt, indem Ihr sie von mir befreit, dann möchte ich Euch dringend auffordern, jetzt mit Freuden Euer Schwert zu zücken und mich zu erstechen.«
Je mehr der Inquisitor redete, desto mehr respektierte Tannhäuser ihn, und desto mehr war er auch davon überzeugt, daß er die Welt wahrhaftig von einer sehr großen Bedrohung befreien würde, wenn er ihn totschlug. Er lächelte: »Ich will nicht länger mit Euch Wortgefechte austragen, denn ich gebe zu, daß ich Euch nicht übertreffen kann.«
»Die Herausforderung war ernst gemeint«, erwiderte Ludovico. »Und Euer Kamerad zumindest ist der Meinung, daß Ihr sie annehmen solltet.«
Tannhäuser schaute zu Bors, der tatsächlich drauf und dran war, sich auf ihn zu stürzen. Als Tannhäuser ihn ansah, entspannte er sich ein wenig und schaute leicht einfältig drein.
»Ich verfolge nicht das Ziel, das Böse aus der Welt zu tilgen«, sprach Tannhäuser. »Vielmehr strebe ich danach, Reichtümer anzuhäufen – und vielleicht auch ein wenig Gelehrsamkeit – und dann an all den Lastern zu sterben, die mir in der mir zugeteilten Lebensspanne möglich sind. Von Gott habe ich mich schon vor sehr langer Zeit abgewandt.«
»Glaubt mir, Er lebt in Euch so sicher wie in mir«, erwiderte Ludovico. »Und genauso gewiß ist, daß Er mich für jede meiner Taten richten wird, genau wie Euch für Eure.«
»Dann sitzen wir vielleicht am Tag des Jüngsten Gerichtes beide zusammen auf der Anklagebank, Seite an Seite.«
Ludovico nickte. »Auch daran sollten wir keinerlei
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