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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Bank zurücklehnte und den Arm erhob, um dem Mädchen einen Kanten Brot an den Kopf zu werfen, packte ihn Tannhäuser beim Kragen und donnerte seinen Kopf mit einer solchen Kraft auf die Holzplatte, daß das andere Tischende in die Luft sprang und die Dasitzenden mit Bier übergossen wurden.
    »Zurück zu eurem Bier, ihr Schweine!« brüllte Tannhäuser.
    Zu seiner Genugtuung trat sofort Stille ein. Das Mädchen blieb mitten in der Bewegung stehen und schaute ihn ohne jede Spur von Schwindel an. Soweit er es im trüben Licht beurteilen konnte, hatte sie ein braunes und ein graues Auge, ein sicheres Zeichen für einen überspannten Geist. Ihn faszinierte, daß die Augen vollkommen zu dem Feuer paßten, das aus ihnen funkelte. Obwohl ihr Gesicht ein wenig schief wirkte und ihr Haar aussah, als hätte sie es selbst geschnitten, und zwar ohne einen Spiegel, fragte er sich unwillkürlich, wie es wohl sein würde, sie zu lieben. Das Kleid verriet nicht viel, aber sein erfahrener Blick sagte ihm, daß sie herrliche Brüste haben mußte.
    »Tannhäuser«, sagte das Mädchen mit einer Stimme, die in seinen Ohren wie Musik klang.
    »Zu Euren Diensten, Signorina«, antwortete er mit einer eleganten Handbewegung und einer Verbeugung.
    Ihre Augen schauten an ihm vorbei, und Tannhäuser wandte sich um, als der Stiernackige seine fünf Sinne wieder genügend beieinander hatte, daß er taumelnd von seiner Bank aufstehen und mit erhobenen Fäusten auf ihn zukommen konnte. Ehe der Kerl seinen trüben Blick auf den Feind richten konnte, war schon Bors mit grimmigem Vergnügen über ihn hergefallen. Das Mädchen schien von den Vorkommnissen nicht weiter verstört, als seien ihr derlei gewalttätige Auseinandersetzungen in zweifelhafter Umgebung nicht unbekannt.
    »Sprecht Ihr Französisch?« fragte sie in dieser Sprache.
    Tannhäuser hüstelte und straffte die Schultern. »Natürlich«, erwiderte er in der gleichen Zunge. Mit seiner Meinung nach bewundernswerter Sprachfertigkeit fragte er das Mädchen nach seinem Namen.
    »Amparo«, erwiderte sie.
    Wunderschön, dachte Tannhäuser. Er deutete mit der Hand auf seinen geschützten Alkoven, nicht ohne Stolz auf die exotische Möblierung und die Wandteppiche, und sagte: »Mademoiselle Amparo, kommt bitte.«
    Amparo schüttelte den Kopf, die Augen immer noch fest auf seine Brust geheftet, und antwortete mit einem Wortschwall, den Tannhäuser zu seinem Entsetzen kaum verstehen konnte. Vielmehr erfaßte er höchstens eins von fünf Worten, während der Rest an ihm vorbeirauschte und ihm die Gedanken verwirrte. Er hatte in seiner Familie Deutsch gesprochen, und mit zwölf Jahren war er in der Schule der Janitscharen mit eherner Disziplin gezwungen worden, Sprachen und Schriften zu erlernen, die ihm äußerst fremd waren. Danach war ihm das Erlernen des Italienischen leichtgefallen. Während seines Aufenthaltes bei Petrus Grubenius, der in jedem Satz viele rhetorische Nebenwege beschritt, ehe er zum eigentlichen Thema kam, hatte er die Extravaganz schätzen gelernt, zu der die römische Sprache einige Auserwählte verleitet. Nun hatte ihm Messina auch ein passables Spanisch beigebracht. Französisch hingegen war eine verzwickte Sprache, gespickt mit seltsamen Ausspracheregeln, und das Vokabular, das er zur Verfügung hatte, hatte er von Soldaten gelernt.
    Er hob die Hand, um dem Mädchen Einhalt zu gebieten.
    »Bitte«, sagte er. Die verstohlenen Blicke des Pöbels ruhten auf ihm. Er wies zur Tür: »Wir wollen draußen reden.«
    Amparo nickte, und er bot ihr seinen schützenden Arm, den sie jedoch übersah. Leichtfüßig ging sie an ihm vorüber nach draußen und zum Kai, wo er sich mit den Pferden im Schatten zu ihr gesellte. Er sah, daß sie Buraq anstarrte, den Bors neben ihrer Stute angebunden hatte. Sie hatte offensichtlich ein gutes Auge für Pferde.
    »Das ist Buraq«, erklärte Tannhäuser. Er hatte sich auf die italienische Sprache zurückgezogen und hoffte, sie würde ihn verstehen, wenn er nur langsam genug redete. »Er ist nach dem geflügelten Pferd des Propheten benannt.«
    Amparo wandte sich um und schaute ihm zum erstenmal in die Augen. Sie war nicht eigentlich hübsch zu nennen, aber sie hatte eine ungeheure Ausstrahlung. Ihr Gesicht wirkte schief, weil der Knochen unter ihrem linken Auge gewaltsam gebrochen war, und es leuchtete mit einer Ekstase, die ihn verstörte. Amparo strahlteeine schlichte Unschuld aus, die kaum zu der Art passen wollte, wie sie mit dem Mob in der

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