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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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aufgefallen war, nun aber an die Taverne, die Kais und die erotischen Abenteuer der vergangenen Nacht gemahnte. Das hatte vielleicht nichts zu bedeuten, denn Christen waren ja schmutzige Gesellen, die eine krankhafte Furcht vor Wasser hegten, aber Tannhäuser war doch sehr betrübt, daß er sein Bad nicht bekommen hatte. Diese Vorliebe dafür, ganz im Wasser abzutauchen, hatte er sich in der Türkeiangewöhnt, wo der Prophet verlangte, daß die Gläubigen sich zumindest für das Gebet am Freitagmittag reinigten, ganz besonders aber, nachdem sie sich durch Geschlechtliches besudelt hatten. Tannhäuser atmete tief ein. Kein Zweifel, er stank. Vielleicht hatte ihn Amparo deshalb im Garten zurückgelassen.
    Dann zerstreute ein Schwall göttlicher Töne seine Sorgen, Töne, die so himmlisch waren und von einer so reinen Schönheit, daß er einen Augenblick brauchte, um überhaupt zu bemerken, daß es Musik war. Diese Musik war so wunderschön, daß er sich nicht einmal überwinden konnte, sich umzuwenden und nach ihrem Ursprung zu forschen, denn sie hatte alle seine Sinne erfaßt und ihn so tief ins Herz getroffen, daß er machtlos ihrem Zauber erlag. Zwei Instrumente, beide mit Saiten. Eines gezupft, das andere mit einem Bogen gestrichen. Eines leicht und geschmeidig, daß die Töne perlten wie ein weicher Sommerregen, das andere dunkel und schwellend wie die Flut in einer stürmischen Nacht. Beide tanzten miteinander in wilder Umarmung.
    Tannhäuser schloß im Schatten die Augen, eingehüllt in den Duft der Rosen, und ließ die Musik in seine Seele sinken, eine Sarabande, die das Angesicht des Todes liebkoste, wie Liebende das Antlitz eines Geliebten liebkosen. Das dunklere Instrument überwältigte seine Sinne mit Wellen ekstatischer Melancholie, um dann im nächsten Augenblick so zart zu glänzen wie der Kerzenschein. Nichts, was er nicht nur gehört, sondern jemals erfahren hatte, hatte ihn auf diese überweltliche Musik vorbereitet. Was überkam ihn da, warum ließ er zu, daß seine Seele sich dieser Macht ergab? Welche Zauberei konnte derlei Gespenster heraufbeschwören, sie bis in sein Herz vordringen lassen und dann fort und weiter in eine namenlose und unbekannte Ewigkeit? Wohin verflogen die Töne, wenn sie vergangen waren? Wie konnten sie sein und doch nicht sein? Oder hallten sie alle wider bis zum Ende aller Dinge, von einem fernen Ende der Schöpfung zum andern? Die Musik flutete auf und ab, eine Melodie schloß an die andere an und strömte mit wilder Hoffnung und dämonischer Verzweiflung, als hätten Götter sie hier aus Fell und Holz undSaiten aus Darm heraufbeschworen, Götter, die kein Priester oder kein Prophet je angebetet hatte. Jedesmal, wenn er gewiß war, daß die Musik nun verklingen müßte, von ihrer eigenen ungeheuerlichen Sehnsucht verzehrt, da erstand sie von neuem wieder auf, sank und erhob sich zum nächsten Gipfel.
    Schließlich schlich mit der gleichen unsagbaren Heimlichkeit, wie sich die Töne an ihn herangestohlen hatten, die Stille herbei. Das Universum schien öd und leer. Und in dieser Leere saß er.
    Die Zeit trat ihre Herrschaft wieder an. Allmählich gewahrte Tannhäuser wieder den Duft der Rosen, die kühlende Brise und das Gewicht seiner Gliedmaßen. Er stellte fest, daß er dasaß, den Kopf in die Hände gestützt, und als er seine Hände zurückzog, bemerkte er, daß sie feucht von Tränen waren. Er schaute sie verwundert an, denn er hatte seit Jahrzehnten nicht mehr geweint und war überzeugt gewesen, es verlernt zu haben. Er hatte nicht mehr geweint, seit er gelernt hatte, daß alles Fleisch wie Staub war, daß nur Gott allein groß war und daß in dieser Welt die Tränen nur ein Trost der Besiegten waren. Gerade noch rechtzeitig wischte er sein Gesicht am burgunderroten Ärmel seines Wamses trocken.
    »Chevalier Tannhäuser, ich danke Euch, daß Ihr gekommen seid.« Die Stimme war beinahe so schön wie die Musik. »Ich bin Carla La Penautier.«
    Er stand auf und sammelte sich. Eine Frau beobachtete ihn aus einiger Entfernung vom Weg aus. Sie war zart gebaut und schmal in den Hüften. Ihre Beine wurden von einem Kleid bedeckt, das selbst auch ein ungeheurer Anblick war. Es hatte die Farbe von Granatapfelsaft und schmiegte sich so sinnlich an ihren Körper, daß er sie beinahe mit offenem Mund angestarrt hätte. Es umfloß ihren Körper wie Öl, schimmerte bei jeder ihrer Bewegungen in langen Lichtbahnen auf. Tannhäuser merkte, wie seine Finger zuckten, und bemühte

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