Das Sakrament
deren Haut so von der Sonne verbrannt war, daß sogar die Krähen sie verschmähten. Nach diesem unerfreulichen Anblick wandten sie sich den Neptun-Bergen zu, wo die Luft überaus lieblich war und Falken über den Monti Peloritani kreisten.
Durch vorsichtige Fragen hatte er von dem Mädchen den Eindruck bekommen, daß die Dame Penautier eine Witwe war, die in Aquitanien ihr Gut ohne jede fremde Hilfe leitete. Vom verstorbenen Ehemann wußte Amparo nichts zu sagen, da sie ihn nicht gekannt hatte, aber die Contessa hatte niemals Anzeichen gegeben, seine Gesellschaft zu vermissen. Amparo konnte zwar keine genaue Zahl nennen, es schien jedoch, daß die Dame noch keine dreißig Jahre alt und von beträchtlicher Schönheit war.
Im Augenblick war Tannhäuser es zufrieden, festzustellen, daß Amparo lange, schlanke Finger mit mandelförmigen Fingernägeln hatte und daß ihr Nacken so anmutig war wie der eines Schwans. Unter der grünen Seide, die der Schweiß inzwischen unter den Armen dunkel gefärbt hatte, sah ihre Brust noch voller aus, als er vermutet hatte. Daß sie ihn kaum anschaute, lag gewiß an ihrer Schüchternheit. Zu seiner großen Erleichterung erfuhr Tannhäuser, daß Amparo Spanierin war und einen großen Teil ihrer Kindheit in Barcelona verbracht hatte. Die kastilische Sprache gab ihm nun die Möglichkeit, den unzutreffenden Eindruck, daß er einfältig sei, wieder wettzumachen. Er sprach vom Hafen und der schönen alten Kathedrale in dieser großartigen Stadt, obwohl er nie selbst dort gewesen war und sein Wissen nur aus zweiterHand besaß. Amparo reagierte schweigend auf seine Begeisterung, und so stellte er ihr weiter Fragen, die sie zumindest höflich beantwortete.
Madame und sie waren von einem Ort bei Bordeaux gekommen, aber darüber hinaus war ihre Vorstellung von der Geographie nur sehr verschwommen. Für Amparo waren Marseille, Neapel und Sizilien nur Trittsteine, die im großen Gewässer des Unbekannten verstreut lagen. Daß zwei Frauen eine solche Reise ohne Begleitung unternahmen, war außerordentlich leichtsinnig, vor allem, da sie auch jeglichen bewaffneten Geleitschutz verschmäht hatten. Und doch erklärte Amparo zufrieden, daß sie ihrer Herrin »bis ans Ende der Welt« gefolgt war. In Tannhäusers Erfahrung war derlei treue Gefolgschaft ungewöhnlich für eine verdingte Arbeitskraft – und auch in Beziehungen zwischen Frauen im allgemeinen eher selten. Als sie die Bougainvilleen erreicht hatten, die das Ende ihres Rittes ankündigten, war Tannhäuser neugieriger als je zuvor.
Die Villa Saliba war ein prunkvolles Gebäude aus Marmor. Tannhäuser dachte bei sich, daß eine Residenz dieser Art ihm wohl anstehen würde. Die Villa selbst war jedoch nicht ihr Ziel. Sie ließen ihre Pferde zurück, die in den Ställen getränkt werden sollten. Dann führte ihn Amparo in einen wunderbaren Garten, der ganz weißen und roten Rosen vorbehalten war. Palmen und Myrtenbäume spendeten Schatten. Ort und Anlage des Gartens waren herrlich ausgedacht. Mit Genugtuung bemerkte Tannhäuser, daß hier keine der sonst überall wuchernden Magnolien wuchsen, die jeden zarten Duft übertönt hätten. Jenseits des Gartens stand ein viel kleineres, aber immer noch eindrucksvolles Haus aus kühlem weißem Stein.
Amparo blieb bei einem Rosenbeet stehen und kniete sich neben einer weißen Blüte nieder. Tannhäuser beobachtete sie einen Augenblick lang, während sie in einer Sprache flüsterte, die weder Französisch noch Kastilisch war. Sie war wahrhaftig ein einzigartiges Geschöpf. Als hätte sie seine Gedanken gelesen, wandte sie sich von der Blüte zu ihm.
»In Arabien«, erklärte er, »sagt man, daß früher einmal alle Rosen weiß waren.«
Mit hellwacher Neugier stand Amparo auf. Sie blickte auf die roten Blüten, die dicht an dicht hingen, und dann wieder zu ihm.
»Eines Abends, bei abnehmendem Mond«, fuhr Tannhäuser fort, »landete eine Nachtigall bei solch einer Rose – einer hohen weißen Rose – und entbrannte beim ersten Anblick in Liebe zu ihr. Nun hatte man bis zu diesem Tage niemals eine Nachtigall singen hören …«
»Die Nachtigallen konnten nicht singen?« fragte Amparo voller Eifer.
Tannhäuser nickte. »Sie verbrachten stumm ihr Leben, vom Anfang bis zum Ende, aber die Liebe dieser Nachtigall war so übermächtig – die Liebe zu dieser wunderbaren weißen Rose –, daß ihr ein Lied von wundersamer Schönheit aus der Kehle strömte. Dabei breitete sie ihre Flügel wie zu einer
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