Das Sakrament
Schädel abwischte. Er tauchte den Stoff in ein Faß mit Brunnenwasser, das man mit Orangenblüten und den Blättern der wilden Betonie parfümiert hatte. Er hätte Schwämme aus dem Roten Meer oder weiche weiße Leinentücher benutzen können, und es standen ihm unzählige seltene aromatische Öle und Salben zur Verfügung, denn diese Gemächer waren, solange er sie benötigte, allein für seinen Gebrauch bestimmt. Der Abt lebte in großer Pracht, doch Luxus war ein Fallstrick für die Schwachen und Unbedachten. Ludovico schlief nun schon seit dreißig Jahren auf nacktem Stein. Er fastete von September bis Ostern von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang. Freitags trug er ein härenes Gewand. Er aß nur zweimal in der Woche Fleisch, um sich seine geistigen Kräfte zu erhalten, und so sehr er auch Gespräche schätzte, übte er sich doch in Schweigen, wenn seine Arbeit es ihm erlaubte. Die Kasteiung des Fleisches war die Rüstung der Seele.
Er wischte sich Nacken und Schultern ab. Das Wasser kühlte ihn. Er hatte über das Schicksal zweier Menschen zu entscheiden. Er unterzog derlei Angelegenheiten stets einer außerordentlich strengen Prüfung, und diese beiden Fälle lasteten schwer auf seiner Seele. Ludovico spülte das Tuch aus und wusch sich die Arme.
Ludovico war in Neapel aufgewachsen, in der reichsten und lasterhaftesten Stadt der Welt. Er stammte aus einer Familie von Höflingen, Diplomaten und Intellektuellen. Er war der zweite Sohn seines Vaters aus dessen erster Ehe. Im Alter von dreizehn Jahren war er in die Universität von Padua eingetreten, ein Jahr später in den Dominikanerorden. Man schickte ihn zum Studium nach Mailand, wo ihm sein kluger Kopf einen Platz in der Fakultätfür Theologie und Kirchenrecht einbrachte. Sein Vater hatte ihn stets ermutigt, jede sich bietende Gelegenheit schlau und mutig zu ergreifen, und so ging er mit Ende Zwanzig nach Rom und promovierte dort in diesen Fächern. Dort fiel er sowohl Papst Paul IV., Gian Pietro Carafa, als auch dem Generalinquisitor Michele Ghislieri auf. Mit dem Zweck, die moralische Reinheit Italiens wiederherzustellen, hatte Carafa 1542 das Heilige Offizium der Römischen Inquisition eingerichtet und damit die Säuberungsaktionen entfesselt, die seither dafür sorgten, daß die Gefängnisse voll waren. Ein junger Mann von solcher Brillanz und Makellosigkeit wie Ludovico war selten, und Carafa hatte ihn rekrutiert, um gegen Männer in hohen Ämtern vorzugehen, »denn von deren Bestrafung wird die Rettung auch der niederen Ränge abhängen«.
In einer Zeit des Konformismus, in der Speichelleckerei und Kriecherei der beste Weg zum Erfolg waren, gab es nur wenige Bereiche, in denen selbständige Denker gedeihen konnten. Für Ludovico war die Inquisition eine solche Nische. Er empfand es als Ehre, Inquisitor zu sein. Schrecken und der eine wahre Glaube waren seine Waffen. Seiner Meinung nach war jedoch die Schwarze Legende nicht wahr. Eine Handvoll Hinrichtungen, durch die man mit angemessenem Eifer gegen die Abweichler vorging und bei denen im Prozeß alle Rechte der Verurteilten peinlich genau beachtet wurden, hatten den Tod von Hunderttausenden verhindert. Diese Zahlen standen außer Frage. Luther hatte sich zum Geburtshelfer des teuflischen Zeitalters gemacht, in dem Christen einander in ungeheurer Zahl abschlachteten, nicht im Kampf um Land oder Macht, sondern einfach nur, weil sie alle Christen waren. Es war ein Paradoxon – ein absurder Tatbestand, den nur Luzifer ersonnen haben konnte. Dieser obszöne, verfettete Mönch hatte ganz Deutschland mit Blut getränkt, und daß noch weitere Schrecken folgen würden, stand in feurigen Lettern auf die Landkarte geschrieben. In Frankreich hatte das Blutbad zuerst begonnen, in Vassy und Dreux. Die Niederlande waren ein finsterer Sumpf von Wiedertäufern. Erzketzer saßen auf den Thronen von England und Navarra.
Nur in Spanien und Italien schlachteten die Menschen einander noch nicht ab. Hier hatte die Heilige Inquisition die lutherische Natter schon im Keim erstickt. Die Kampagne zur Ausrottung der Protestanten in Norditalien war der größte politische Erfolg der letzten Jahre. Daß man sie nicht weithin als solchen feierte, zeugte nur davon, wie geschickt man diese Operation durchgeführt hatte. Wenn Turin, Bologna und Mailand an die Reformation gefallen wären wie Hunderte von katholischen Städten nur wenige Tagereisen nördlich der Alpen, dann hätten die Lutheraner vor den Toren Roms
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