Das Sakrament
sich, sie zu beruhigen. Langsam wurde er wieder Herr seiner Sinne und richtete seine Aufmerksamkeit auf das Antlitz der Contessa.
Sie hatte starke, klare Gesichtszüge. Die Iris ihrer Augen war grün und wie mit Tusche von dünnen schwarzen Linien umrandet.Trotz ihres Namens sah sie nicht wie eine Französin aus, sondern hatte den Körperbau und Hochmut einer Sizilianerin. Ihr Haar war honigfarben, als hätte einer der normannischen Eroberer sich in ihrem Blut verewigt. Das Haar war zu einem Knoten gebändigt, würde aber, sobald man es gewähren ließ, in golden schimmernden Wellen herabfallen. Wider besseres Wissen kehrte sein Blick zu ihrem Busen zurück. Vorn war das Kleid mit einer geschickten Kombination aus Haken und Ösen verschlossen und stützte so ihre Brüste, die betörend weiß waren, wie man im Ausschnitt sehen konnte. Die Umrisse ihrer Brustwarzen zeichneten sich vage ab und schienen, wenn er sich nicht irrte, unter seinem Blick deutlicher hervorzutreten, aber vielleicht schmeichelte er sich zu sehr. Jedenfalls war sie eine Schönheit, wahrhaftig.
Er wandte seine Augen wieder ihrem Gesicht zu. Wenn Amparo eine gewisse Härte besaß, die es aber nicht vermocht hatte, ihre Unschuld auszulöschen, so war um Carla eine Traurigkeit, die von großem Mut in Grenzen gehalten wurde. Instinktiv begriff er, daß sie die dämonischere Musikantin gewesen war. Er faßte sofort eine Zuneigung zu ihr und verneigte sich.
»Mein Vergnügen, Madame«, sagte er. »Ich muß allerdings gestehen, daß ich kein Chevalier bin.«
Er lächelte, und Carla erwiderte sein Lächeln mit einer Wärme, die sie selten fühlte oder zeigte, wie er zu spüren glaubte.
»Wenn Ihr wünscht, könnt Ihr mich Hauptmann nennen, denn das ist mein Rang – oder entspricht ihm jedenfalls – in einer Reihe von Armeen. Ich sollte jedoch hinzufügen, daß ich inzwischen ein Mann des Friedens bin.«
»Ich hoffe, Ihr vergebt mir, daß ich Euch nicht gleich begrüßt habe, Hauptmann.« Ihr Italienisch war elegant und hatte einen Akzent, den er nicht einordnen konnte. »Amparo hat darauf bestanden, daß wir musizieren, wie das unsere Angewohnheit ist. Wenn wir es nicht tun, ist sie sehr betrübt.«
»Dann stehe ich in ihrer Schuld«, sagte er, »denn ich habe noch nie etwas dergleichen gehört. Noch nie haben mich Wonnen so sehr verzückt.«
Carla nahm dieses Kompliment mit einem Neigen des Kopfes entgegen. Er ergriff die Gelegenheit, seine Augen wieder an ihrem Kleid zu weiden, dem wunderbarsten Kleid, das er je gesehen hatte. Zwei begehrenswerte Frauen an einem einzigen Tag kennenzulernen war eine willkommene Neuheit für ihn. Schade, daß sie so eng miteinander vertraut waren. Doch dieses Dilemma konnte wirklich noch warten. Er blickte Carla wieder in die Augen. Konnte sie seine Gedanken lesen?
»Ihr amüsiert Euch über mich?« fragte sie, nun wieder lächelnd.
»Ich amüsiere mich über mich selbst«, antwortete er. »Und ich bin voller Freude über diese unverhoffte Begegnung.«
Er neigte sein Haupt in einer, wie er hoffte, eleganten Geste, die sie, um einiges eleganter, erwiderte. Er strich sich mit dem Handrücken über das Kinn und wurde wieder daran erinnert, daß er unrasiert vor ihr stand und im allgemeinen einen recht ungehobelten Eindruck machen mußte.
»Bitte, edle Dame«, sagte er. »Sagt mir, wie ich Euch dienen kann.«
D IENSTAG , 15. M AI 1565
In der Abtei von Santa Maria della Valle
Gott weiß um die verborgensten Gedanken eines Menschen und um dessen Phantasien und Träume und vor allem um jene Begierden, die der Mensch nicht einzugestehen wagt, nicht einmal sich selbst. Eben aus diesen finsteren Begierden entspringen spirituelle Verfehlungen, die Quelle alles Bösen im Menschen. Deswegen mußte man diese Begierde mit unermüdlicher Wachsamkeit genau studieren – und überwachen. Nackt und schwitzend stand Ludovico Ludovici im goldenen und marmornen Lavatorium des Abtes. Dort hatte er seinen Körper vom durchdringenden Gestank der Galeere gereinigt. Sein wacher Geist und die elementare Gewaltdes Fleisches führten ihn mehr als andere in Versuchung, seine Macht zu mißbrauchen. Und seine Macht war ungeheuerlich. Nicht nur war er der Generalbevollmächtigte Seiner Heiligkeit des Papstes Pius IV., er war auch der geheime Agent von Michele Ghislieri, dem Generalinquisitor für die gesamte Christenheit.
Ludovico hielt ein Stück rauhes Sackleinen in der Hand, mit dem er sich das Gesicht und seinen hoch gewölbten
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