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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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Männer.
    Gaspard lächelte schief. »Ich fürchte, ich habe eine Verabredung, die sich nicht länger aufschieben lässt. Mach’s gut, alter Freund. Pass auf dich auf.«
    Es gab noch so vieles, was Michel ihm sagen wollte, doch seine Kehle war plötzlich rau und heiß und eng, und er brachte keinen Ton heraus. Gaspard drückte ihm die Hand, bevor ihn die Wächter aus der Zelle geleiteten.
    Michel stand da und hörte, wie sich die Schritte der drei Männer entfernten. Irgendwann setzte er sich schwerfällig in Bewegung, schlurfte durch die Turmkammer und sank auf die Pritsche.
    Schweigend bildete die Menge eine Gasse, als Gaspard zum Schafott geführt wurde. Seine Knie wurden weich. Er biss die Zähne zusammen, zwang sich, keine Schwäche, keine Furcht zu zeigen, während er die hölzernen Stufen hinaufstieg.
    Die Zeit floss unendlich langsam. Jeder Schritt kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Er spürte den Wind im Haar, roch den Rauch der Herdfeuer, hörte jede noch so leise Stimme in der Menge.
    »Kniet nieder«, befahl der Scharfrichter.
    Gaspard gehorchte. Die beiden Waffenknechte stellten sich rechts und links von ihm auf, in den Händen ihre Piken. Tancrède Martel trat vor, entrollte ein Pergament und verlas das Register seiner Verbrechen. Die Menge beantwortete jeden Punkt auf der Liste mit Rufen des Abscheus. Gaspard hörte sie kaum. Seine Gedanken richteten sich nach innen, auf die Erinnerungen an Lutisse, Flori, Isabelle, seine Mutter. So klar und deutlich sah er ihre Gesichter, als stünden sie vor ihm.
    Ich liebe euch. Lebt wohl.
    »Legt Euch hin«, sagte der Henker. Gaspard streckte sich auf dem Podest aus. Seine Muskeln begannen zu zucken, er konnte nichts dagegen tun, so sehr er es auch versuchte. Die Gehilfen des Scharfrichters legten ihm Hand- und Fußschellen an, zogen die Ketten straff und schoben ihm Kanthölzer unter Arme und Beine.
    »Seht her, ihr Leute von Varennes-Saint-Jacques«, rief Martel. »So ergeht es jedem, der auf schändlichste Weise den Frieden stört und Gottes Gesetz verletzt.«
    Der Henker holte die Stange ein, und an seinen Armen schwollen die Muskeln, als er das mit einem eisernen Reif verstärkte Rad ergriff, zu Gaspard trug und anhob.
    Herr, gib mir Stärke.
    Das Rad sauste hinab und zerschmetterte seinen Unterschenkel.
    Es klang wie das Knacken von brechendem Holz. Ein Schrei gellte über den Domplatz, hoch und schrill und voller Qual.
    Michel saß auf der Pritsche, die Krücke quer über den Knien, während die Geräusche der Hinrichtung zum Gitterfenster der Zelle hinaufhallten. Seine Hand krampfte sich um seinen Gehstock, umschloss den Schaft so fest, dass ihm die Finger schmerzten.
    Stille folgte auf den Schrei.
    Dann: ein knirschender Schlag.
    Die Menge stöhnte auf.
    Neue Schreie.
    Michel schloss die Augen.
    Zwölfmal ließ der Scharfrichter das Rad auf Gaspards Leib hinabsausen. Ein Schlag für jede Speiche. Er zerschmetterte Gaspard die Beine, die Hüfte, die Arme, die Schultern, zum Schluss den Brustkasten. Spätestens beim letzten Schlag wurden die meisten Verurteilten ohnmächtig oder starben, Gaspard jedoch klammerte sich mit aller Kraft ans Bewusstsein, ans Leben. Er konnte schon lange nicht mehr schreien. Blut troff ihm aus all seinen Wunden, aus dem Mund, der Nase.
    Der Scharfrichter löste die Hand- und Fußschellen, legte den geschundenen Körper auf das Rad und fesselte Gaspards Arme und Beine an die Speichen. Seine Gehilfen steckten das Rad auf die Stange, und gemeinsam richteten sie den Pfahl auf. Mit aufgerissenen Augen und Mündern glotzten zweitausend Leute zu Gaspard hinauf. Auf den Dächern sammelten sich Raben und Krähen und beobachteten den grotesk verdrehten Leib.
    Der Scharfrichter schaute zu den Doppelfenstern des Bischofspalasts. Johann von Trier nickte, woraufhin der Scharfrichter eine Pike ergriff und sie Gaspard in die Seite stieß. Der Körper zuckte und erschlaffte endgültig. Die Leute bekreuzigten sich und falteten die Hände zum Gebet.
    Irgendwann zerstreute sich die Menge, bis sich am Nachmittag keine Menschenseele mehr auf dem Domplatz aufhielt. Die Krähen kreisten über der Leiche und balgten sich um die Beute. Als sich die Nacht herabsenkte, huschten einige Gestalten zum Schafott, stellten eine Leiter an den Pfahl und verscheuchten die Krähen. Der Reihe nach erklommen sie die Sprossen. Einer schnitt der Leiche ein Haarbüschel ab, ein anderer schabte etwas gefrorenes Blut von den zerschmetterten Gliedern, tat es in eine Phiole und

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