Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Jodocus mit seiner sonoren Stimme.
»Ich bereue, dass ich Böses getan und Gutes unterlassen habe. Erbarme dich meiner, o Herr.«
Der Pater legte ihm die Hand auf den Kopf. Es war eine sanfte Berührung und gleichzeitig kraftvoll und tröstlich. »Deus, Pater misericordiae, qui per mortem et resurrectionem Filii sui mundum sibi reconciliavit et Spiritum Sanctum effudit in remissionem peccatorum, per ministerium Ecclesiae indulgentiam tibi tribuat et pacem. So spreche ich dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.«
Gaspard hob den Kopf. Falls Jodocus für ihn, den Bischofsmörder, Zorn und Abscheu empfand, so zeigte er es nicht. Seine zerfurchte Miene war so gütig und ernst wie eh und je. »Ich möchte mit Michel sprechen. Könnt Ihr ihn bitten zu kommen?«
»Du hast nicht mehr viel Zeit.«
»Fragt Martel, ob er mir noch eine halbe Stunde gewährt.«
»Ich werde sehen, was ich tun kann«, sagte Pater Jodocus und erhob sich. »Hab keine Furcht, mein Sohn. Der Tod durch das Rad mag qualvoll sein, aber wenn es überstanden ist, kannst du am Jüngsten Tag mit reiner Seele vor Gott treten.«
Er verließ die Zelle, und die Tür schloss sich knarrend.
Gaspard trat wieder an das Gitterfenster und betrachtete die rußschwarze Ruine am Domplatz, die einst Michels Haus gewesen war, während die Menge johlend dem Feuerspucker applaudierte.
»Eine halbe Stunde, weil Ihr es seid«, sagte Martel missmutig zu Jodocus. »Aber mehr nicht. Was immer die zwei zu bereden haben, sie sollten es also schnell tun.« Der Schultheiß befahl einem Turmwächter, Michel zu Gaspards Zelle zu führen, bevor er sich abwandte und zum Bischofspalast zurückging, wo er mit Erzbischof Johann der Hinrichtung beiwohnen würde.
»Nun geh schon«, sagte Jodocus. »Eure Zeit ist kostbar.«
Michel nickte seinem Beichtvater zu und folgte dem Wächter die Stufen hinauf, die sich an der Innenseite der Mauer emporwanden, vorbei an engen Zellen mit eisenbeschlagenen Holztüren. Es war das erste Mal, dass Michel den Gefängnisturm Varennes’ betrat, und das Elend dieses Ortes bedrückte ihn. Es lag an der Luft: Sie roch nach feuchtem Mauerwerk, Urin, Erbrochenem, nach Furcht und Verzweiflung. Er atmete durch den Mund, klammerte sich an seiner Krücke fest und konzentrierte sich darauf, auf den feuchten, ausgetretenen Stufen nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Als sie das Ende der Treppe erreichten, zückte der Wächter einen Schlüsselring und öffnete die Tür. Michel war noch lange nicht genesen, und der Aufstieg hatte ihn Kraft gekostet. Schwer atmend betrat er die Zelle.
Gaspard stand am Fenster und wandte sich zu ihm um. »Michel. Du siehst erschöpft aus. Setz dich doch.«
»Es geht schon, danke.«
Schweigend standen sie sich gegenüber.
»Weißt du noch, als wir Kinder waren?«, begann Gaspard. »Dieser Turm hat uns eine Heidenangst eingejagt.«
Michel lächelte. »Wir dachten, in den Zellen würden Menschenfresser hausen.«
»Und Hexer. Von den rastlosen Seelen ganz zu schweigen. Deswegen hatte dein Bruder immer ein Amulett bei sich, wenn wir unten auf dem Platz gespielt haben. Um sich vor Flüchen und bösen Zaubersprüchen zu schützen.«
»Er ist noch genauso abergläubisch wie damals. Du solltest ihn erleben, wenn er das Salzschiff fährt. Überall sieht er Wassermänner und Nixen.«
»Irgendeine Nachricht von ihm?«
»Nein«, sagte Michel. »Nichts.«
»Ich hoffe für dich, dass er gesund wiederkommt.«
»Das wird er, da bin ich sicher.«
Gaspard kniff die Lippen zusammen. »Ich habe viel falsch gemacht«, sagte er. »All die Dinge, die ich dir angetan habe … Ich war ein Dummkopf. Ein verbitterter Narr. Wenn ich auf dich gehört hätte, wäre es nie so weit gekommen.«
»Wir beide haben Fehler gemacht. Ich hätte dich nie von meinen Plänen ausschließen dürfen.«
»Verzeihst du mir?«, fragte Gaspard.
»Natürlich verzeihe ich dir.«
Sie umarmten einander.
»Versprich mir, dass du dich nicht unterkriegen lässt. Nicht von Géroux, nicht von de Guillory – von niemandem.«
»Du kennst mich doch«, sagte Michel. »So leicht gebe ich nicht auf.«
»Das ist mein Michel.«
»Bitte sag mir, wo Isabelle ist«, bat Michel.
Gaspard blickte ihn lange an, ehe er antwortete: »An einem Ort, wo sie sicher ist.«
»Gaspard …«
»Lass sie los, Michel. Es ist besser so. Für euch beide.«
Die Tür öffnete sich. Zwei Turmwächter kamen herein. »Es wird Zeit«, sagte einer der
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