Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Mandeln auf die Waage.
»Betrügt Ihr mich auch nicht?«, fragte sie argwöhnisch.
»Der Marktaufseher war heute Morgen da und hat meine Waage und die Gewichte geprüft – Ihr habt mein Wort. Aber wenn Ihr mir nicht glaubt, können wir ihn gerne rufen.«
»Ich sehe sie mir selbst an.«
»Nur zu.«
Wie alt mag sie sein?, fragte sich Jean, während sie mit geübtem Blick die Waage und die Gewichte untersuchte. Siebzehn? Achtzehn?
Sie kam offenbar zu dem Schluss, dass alles seine Richtigkeit hatte. »Wie viel macht das?«
»Neun Deniers.«
»Was? Wollt Ihr mich berauben?«
»Es sind Mandeln aus Verdun, und so viel kosten sie nun einmal.«
»Und wenn sie aus Jerusalem kämen – das ist viel zu teuer. Ich gebe Euch fünf.«
Jean unterdrückte ein Grinsen. »Na gut, weil Ihr es seid. Fünf Deniers für das halbe Pfund. Aber sagt es nicht weiter.«
Misstrauisch gab sie ihm das Geld. Während er die Mandeln in ein Tuch einschlug, musterte sie sein Gesicht.
»Seid Ihr nicht Jean de Fleury, der Held des Kreuzzugs?«
»Ja und nein«, antwortete er.
»Was soll das denn bedeuten?«
»Ja – ich bin Jean de Fleury. Nein – ein Held bin ich nicht.«
»Jeder, der das Kreuz genommen hat, ist ein Held. Sagt zumindest mein Vater«, fügte sie verlegen hinzu.
»Richtet ihm meinen Dank aus.«
»Das mache ich.«
»Hier sind Eure Mandeln.« Ihre Fingerkuppen berührten sich, als er ihr den Beutel gab.
Sie sah ihn noch einmal mit ihren dunklen Augen an, länger diesmal. »Ich muss jetzt gehen. Meine Brüder warten schon.«
»Ja«, sagte er.
»Ja«, sagte sie und räusperte sich. »Auf Wiedersehen, Herr de Fleury.«
»Wartet«, rief Jean, als sie sich abwandte. »Wie heißt Ihr?«
»Adèle Tolbert.« Sie eilte davon.
»Was gibt’s da zu grinsen?«, fragte er Louis ungehalten.
Jean kannte die Tolberts dem Namen nach. Jérôme Tolbert war ein reicher Freisasse und Grundbesitzer, dessen Land eine gute Wegstunde südlich der Stadt lag. Jean hörte sich ein wenig um und erfuhr, dass Adèle seine einzige Tochter war. Mit ihren vier Brüdern war sie nach Varennes gekommen, um den Städtern Feuerholz, Häute und Bienenwachs zu verkaufen.
Auch am nächsten Morgen war sie auf dem Markt. Als Jean noch überlegte, unter welchem Vorwand er zum Stand der Tolberts gehen könnte, kam sie an seinen.
Sie kaufte ein halbes Pfund Mandeln. Sie plauderten. Er brachte sie zum Lachen.
Dasselbe tags darauf, nur dass sie diesmal keine Mandeln kaufte. Dafür plauderten sie so lange, bis ihre Brüder sie vermisst glaubten und den ganzen Marktplatz nach ihr absuchten.
»Bis morgen«, raunte sie Jean zu, bevor sie ihrem aufgebrachten Bruder folgte.
»Ich werde heiraten«, sagte Jean eines Abends.
Michel, der gerade in der Stube an den Büchern saß, stand auf. »Hast du ein Mädchen kennengelernt?«
Sein Bruder nickte.
»Das ist großartig. Meinen Glückwunsch.« Es freute Michel, dass Jean endlich eine Frau gefunden hatte. Sein Bruder war nie ein Kind von Traurigkeit gewesen und hatte schon früh mit diversen Mädchen Erfahrungen gesammelt, aber auf etwas Ernstes hatte er sich nie eingelassen. »Wer ist sie?«
»Adèle, die Tochter vom alten Tolbert.«
»Hast du schon um ihre Hand angehalten?«
»Ich wollte erst warten, was du sagst.«
Michel hatte keine Einwände. Dass Adèle einer Bauernfamilie entstammte, störte ihn keineswegs. Zwar heirateten Kaufleute üblicherweise untereinander und nach Möglichkeit nicht außerhalb des eigenen Standes, aber da Tolbert frei war, über beträchtlichen Grundbesitz verfügte und in der ganzen Gegend hohes Ansehen genoss, würde niemand in der Stadt und der Gilde Anstoß an der Verbindung nehmen. »Bitte Tolbert um ein Treffen, damit wir die Familie kennenlernen können.«
»Heißt das, du bist einverstanden?«
»Natürlich bin ich das.«
Lachend legte Jean ihm die Hände auf die Schultern. »Ich habe eine gute Wahl getroffen, du wirst sehen.«
Das hatte er tatsächlich, wie Michel zugeben musste, als sie einige Tage später zum Gehöft der Tolberts ritten. Adèle war nicht nur eine Schönheit, sie war obendrein lebensklug und gewitzt, wodurch sie reifer und älter wirkte als ihre achtzehn Jahre. Michel mochte sie auf Anhieb. Es war nicht zu übersehen, dass sie Jeans Gefühle erwiderte. Den ganzen Abend saßen die beiden da und bemühten sich, einander nicht allzu auffällig anzuschmachten, sehr zur Erheiterung ihrer vier Brüder, die es sich nicht nehmen ließen, einen schmutzigen
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