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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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Rémy kaum noch. Zwar hatte er versucht, ihre geschäftlichen Aktivitäten in Richtung Rhein zu verlagern, damit er öfter nach Speyer reisen konnte, doch das war nicht so einfach – die hiesigen Handelsströme verliefen nun einmal hauptsächlich zwischen dem südlichen Moseltal und Ostfrankreich, daran konnte er nichts ändern. So hatte er Isabelle und Rémy seit dem Sommer nur einmal für wenige Stunden gesehen. Er konnte sich schon nicht mehr richtig daran erinnern, wie sein Sohn aussah, und er fürchtete, der Junge werde ihm fremd werden, wenn es so weiterging.
    Michel bemerkte, dass sich ihnen durch das Schneetreiben eine Gestalt näherte.
    »Ich habe gehört, Ihr seid wieder da«, sagte Charles Duval, der einen dicken Mantel aus Marderfell und eine Wollmütze trug. »Willkommen zurück.«
    Sie begrüßten den Freund mit Handschlag. »Kommt Ihr auf einen Becher Wein herein?«, lud Michel ihn ein.
    »Da fragt Ihr noch?«
    »Ich fürchte, ich bringe Euch schlechte Neuigkeiten«, meinte Duval, als sie wenig später in der Stube am Kamin saßen. »Simons Fehde gegen Bar ist zu Ende. De Guillory ist vor zwei Wochen zurückgekommen.«
    Jean fluchte vernehmlich.
    »Weiß er von unserem Geschäft?«, fragte Michel.
    »Anzunehmen. Irgendwer wird es ihm schon gesagt haben. Stellt Euch besser auf Ärger ein.«
    Das tat Michel. Jeden Tag rechnete er mit Schwierigkeiten. Doch vorerst geschah nichts. Er erfuhr, dass sich de Guillory in seiner Burg einigelte und kaum je seinen Palas verließ, als halte er Winterschlaf wie ein erschöpfter Dachs; weder er noch Berengar ließen sich in der Stadt blicken. Wie es schien, erholte sich der Ritter von den Strapazen der Fehde. Michel traute dem Frieden nicht. Spätestens im Frühling, wenn sie wieder auf Reisen gingen, würde er ihnen das Leben schwermachen, das war so sicher wie nur irgendetwas.
    Einstweilen genossen sie die Ruhe. Zu Weihnachten kamen Vivienne, Bernier und die Kinder zu Besuch, und sie feierten Jesu Geburt im Kreis der Familie. Zwei Tage nach Neujahr schließlich wollte er nach Speyer reiten – er hatte Isabelle Anfang Dezember geschrieben, er wolle sie und Rémy sehen. Doch das Wetter war scheußlich, es schneite so stark, dass man kaum die andere Straßenseite sehen konnte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als die Reise zu verschieben. Zu allem Überfluss konnte er Isabelle nicht Bescheid geben, dass er nicht käme. Zwar schrieb er ihr einen Brief, doch er fand keinen Boten dafür. Niemand wollte bei diesem Schneegestöber die Stadt verlassen, geschweige denn nach Deutschland reisen. Und selbst wenn sein Brief irgendwie nach Speyer gelangt wäre, hätte Isabelle ihn viel zu spät erhalten. Er stellte sich vor, wie sie und Rémy jeden Mittag zur Quelle kamen, eine Stunde auf ihn warteten und schließlich enttäuscht wieder nach Hause gingen.
    An jenem Abend saß er in seiner Kammer, eine Decke um die Schultern, in der Hand das Kruzifix, und betrachtete im Licht der Kerze die Kratzer und Schrammen im Silber, die von der wechselvollen Geschichte des kleinen Kreuzes erzählten.
    »Hoffnung«, sagte er. »Vertrauen.«
    Er legte das Kruzifix auf den Tisch und ging früh zu Bett.
    Eine Woche nach dem Dreikönigstag brachte Jean die restlichen Waren aus Verdun auf den Markt, die sie vor Weihnachten nicht losbekommen hatten. Es schneite wieder stark, und Louis und er trugen Fellstiefel, Handschuhe und dicke Wollmäntel über der Kleidung. Die Marktaufseher hatten Tagelöhner angeheuert, die den Schnee zwischen den Ständen wegräumten. Am Marktkreuz loderte ein Feuer, an dem sich Händler und Bauern aufwärmen konnten.
    Die Geschäfte gingen allenfalls mäßig. Wer sich bei diesem Wetter auf den Markt wagte, brauchte Feuerholz, Fett, Butter und dergleichen, keine Süßspeisen. So vertrieb sich Jean die Zeit damit, mit den anderen Händlern und Kleinkrämern zu plaudern und sich die neuesten Gerüchte aus den Dörfern der Gegend anzuhören.
    Am frühen Nachmittag, als er bereits erwog, es für heute gut sein zu lassen und nach Hause zu gehen, trat eine junge Frau an seinen Stand. Wilde dunkle Locken quollen unter ihrer Kapuze hervor und umgaben ein ebenmäßiges Gesicht mit einer runden Stupsnase und kastanienbraunen Augen. Wären die rauen Hände, der schlichte Umhang und der Schmutz an den Ärmelsäumen nicht gewesen, hätte Jean gedacht, vor ihm stehe ein Edelfräulein.
    »Ein halbes Pfund von den Mandeln, bitte.«
    »Gewiss.« Er griff in den Sack und tat eine Handvoll

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