Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
hattet damals auch keins mit mir«, sagte Michel lächelnd. »Stellt Euch der Aufgabe, Charles. Bitte. Ich weiß, Ihr werdet es schaffen. Tut es für die Gilde.«
Duvals Seufzer war tief und schwer. »Na schön. Na schön. Um meines Seelenfriedens willen stelle ich mich zur Wahl. Aber wenn die Gilde in einem halben Jahr bis zum Hals in Schwierigkeiten steckt, sagt nicht, ich hätte Euch nicht gewarnt.«
»Ihr werdet das Richtige tun, da bin ich sicher.«
Vier Tage später wurde Charles Duval von den Schwurbrüdern zum neuen Gildemeister gewählt.
Oktober bis Dezember 1198
V ARENNES -S AINT -J ACQUES
M ichel hatte sich nicht in Duval getäuscht: Sein alter Freund führte die Gilde vom ersten Tag an umsichtig und klug, mehrte ihre Rücklagen und verhalf den Schwurbrüdern zu einträglichen Geschäften. Als de Guillory ihn einbestellte und ihn wissen ließ, dass er eine neuerliche Rebellion gegen seine Herrschaft nicht dulden werde, schluckte Duval seinen Stolz hinunter und erklärte demütig, der Aufstand gegen die Marktabgaben sei ein Fehler gewesen. In Zukunft werde man Meinungsverschiedenheiten mit dem Stadtherrn am Verhandlungstisch lösen. Vermutlich glaubte de Guillory ihm nicht, doch er ließ die Gilde vorerst in Ruhe.
Auch Michel behelligte er nicht mehr. Nun, da die Gilde keine Gefahr mehr für ihn darstellte, sah er offenbar keine Notwendigkeit, Michels Geschäfte zu behindern. Während der Herbst mit Regen und Nebel im Moseltal Einzug hielt, trauten sich die Bauern und Handwerker Varennes’ allmählich wieder, mit ihm zu handeln. Zur Saline fuhr Michel trotzdem nicht; er wickelte den Salzeinkauf weiterhin über die Gilde ab. Auch auf Handelsreisen ging er nach wie vor nicht allein – eine Vorsichtsmaßnahme, falls de Guillory es sich anders überlegte. Aus demselben Grund behielt er die Söldner, wenngleich er sie von nun an aus der eigenen Tasche bezahlte, um die Kasse der Gilde zu schonen. Da ihr Sold Woche für Woche eine beträchtliche Summe verschlang, entließ er zu Allerheiligen vier der sechs Männer. Zwei Krieger, die Tag und Nacht sein Leben schützten, erschienen ihm genug.
Währenddessen tobte der Krieg im Nordosten mit unverminderter Härte. Otto und Philipp lieferten sich am Niederrhein und im deutschen Moselland blutige Schlachten, ohne dass aus den Kämpfen ein Sieger hervorgegangen wäre. Das Kriegsglück wechselte so häufig die Seiten wie manch ein Verbündeter der rivalisierenden Könige. Die letzten Hoffnungen auf einen baldigen Frieden wurden unter den Hufen der Schlachtrösser, den Stiefeln der Soldaten zertrampelt. Nicht einmal in der Adventszeit schwiegen die Waffen.
Schnee wirbelte gegen die Fensterverschlüsse aus dünnem Kalbsleder und sammelte sich auf den Simsen, während der Wind um das Gebäude pfiff. Obwohl ein halber Baumstamm im Kamin verbrannte, war es kalt im großen Saal des Bischofspalastes – doch lange nicht so eisig wie auf Burg Guillory, wo der Winter durch jede Fuge der uralten Mauern drang.
Aristide war seit zwei Tagen hier. Yolande durfte unter keinen Umständen erfahren, wen er zu empfangen gedachte und worüber sie sprechen würden. Es könnte ihn den Kopf kosten.
Er kam gerade von seiner wöchentlichen Unterredung mit dem Schöffenkollegium, als ein Diener seinen Besucher meldete. »Walram von Limburg ist da, Herr.«
»Führ ihn herauf.«
Der Ritter, der kurz darauf den Saal betrat, sah so deutsch aus, wie ein Mann nur aussehen konnte: groß, breitschultrig, blond, mit einem Gesicht, das aus klaren, harten Linien bestand. Ein frisch verheilter Schnitt verlief quer über seine Wange. Von Limburg kam von den Schlachtfeldern am Niederrhein und hatte noch vor zwei Wochen gegen die Truppen der Staufer gefochten.
»Herr de Guillory«, sagte er ohne den Anflug eines Lächelns. »Ich danke Euch für dieses Treffen und bestelle Euch Grüße von meinem König Otto von Braunschweig.«
Von Limburg sprach Französisch, und das war ein Glück, denn Aristides Deutsch und Latein waren lausig.
Der Diener brachte zwei Kelche mit heißem Würzwein, und sie nahmen den Willkommenstrunk.
»Wer weiß, dass Ihr hier seid?«, fragte Aristide.
»Otto, niemand sonst. Können wir hier ungestört reden?«
Aristide gab dem Diener ein Zeichen, woraufhin der Mann den Saal verließ und die Tür hinter sich schloss. Von Limburg wartete, bis die Schritte verklungen waren, bevor er sagte: »Ich bin kein Mann großer Reden, de Guillory. Lasst uns gleich zum Kern der Sache
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