Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Hausbedienten in der Nähe waren. Er wäre mit Winand in den Wald gegangen oder hätte Boso und die Mägde zuvor ins Dorf geschickt. Gewiss, niemand hatte den hinteren Schuppen seit Monaten betreten, und er war ein brauchbares Versteck. Und doch – hätte er Pech gehabt, hätte jemand gesehen, wie er sich auf unmissverständliche Art von Johann verabschiedete.
Sie legte noch etwas Heu nach, verließ den Stall und ging zum Haupthaus. Rémy hörte sie nicht hereinkommen, so vertieft war er in seine Arbeit mit Pergament und Gänsekiel. Die Mägde waren in der Küche, schnitten Rüben und tratschten über die Dorfbewohner. Isabelle schickte sie hinaus. Kurz darauf kam Thomasîn herein und schritt zum Bierfass, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
»Ich habe Anselms Kalb gekauft«, sagte sie.
»Gut«, meinte er knapp.
»Er wollte drei Schilling und acht Pfennig.«
»Ein fairer Preis.«
»Ich habe es Desiderata genannt. Ich dachte, das passt gut.«
Er hatte das Fass geöffnet und einen Krug gefüllt. Dunkles Bier rann an dem Steingefäß hinab und tropfte zu Boden. »Das kann sich ja kein Mensch merken.«
»Dann nenn es eben Desi.«
Ohne ein weiteres Wort schlurfte er mit dem Bierkrug in der Hand zur Tür. Isabelle kam ihm zuvor, schloss sie und stellte sich ihm in den Weg.
»Was soll das, Frau? Lass mich vorbei.«
»Ich habe dich eben gesehen. Mit Johann.«
»So«, sagte er.
»Er hat dich auf den Mund geküsst. Wenn gerade einer der Hirten den Pfad heraufgekommen wäre, hätte er es gesehen.«
»Da war aber kein Hirte. Da war niemand.«
»Jetzt tu nicht dümmer, als du bist«, sagte sie harsch. »Du weißt genau, was ich meine. Das war leichtsinnig von dir. Wenn du dich schon mit einem verheirateten Mann aus dem Dorf treffen musst, sei wenigstens vorsichtig.«
»Erspar mir deine Belehrungen. Wenn du wüsstest, wie ich fühle, würdest du nicht so klug daherreden.« Er wollte nach dem Türriegel greifen, doch sie trat nicht zur Seite.
»Glaubst du, ich weiß nicht, was du durchmachst? Ich habe auch Menschen verloren, die ich liebte. Meinen Vater. Meinen Bruder. Ich kenne Trauer und Schmerz. Vielleicht besser als du.«
Kalter Zorn schimmerte in seinen Augen, und einen Herzschlag lang dachte sie, er werde sie schlagen, das erste Mal in ihrer Ehe. Doch er stand nur stocksteif da, in seiner Pranke den Bierkrug.
»Es mag dich nicht kümmern, was aus dir wird«, sagte Isabelle. »Aber du bist nicht allein auf der Welt. Was geschieht mit Rémy und mir, wenn sie euch erwischen und bestrafen? Mit Johanns Frau und seinen Kindern? Vielleicht denkst du auch einmal daran.«
»Aus dem Weg«, knurrte er, schob sie unsanft zur Seite und stampfte hinaus.
Den Rest des Tages saß er vor dem Haus und trank.
V ARENNES -S AINT -J ACQUES
M ichel fand Duval vor der Gildehalle, wo er gerade Deniers an die Bettler verteilte, die unter den Arkaden Schutz vor dem Nieselregen gesucht hatten. »Guten Morgen, Charles. Habt Ihr neues Salz hereinbekommen?«
Duval genoss den Ruf, besonders barmherzig und freigiebig zu sein. Die Bettler wussten das und bedrängten ihn von allen Seiten. »Genug für heute. Lasst mich in Ruhe, gieriges Gesindel. Oder muss ich erst meine Knechte rufen, dass sie euch Beine machen? Isoré war heute früh bei der Saline«, sagte er, als die Armen endlich von ihm abließen. »Er hat an Euch gedacht.«
Sie schritten zu den Lagerräumen im Erdgeschoss der Gildehalle. Duval schloss eins der Tore auf und wies auf einen Fässerstapel. »Sechs gehören Euch. Drei Deniers der Fuder.«
»Vorige Woche waren es doch noch zweieinhalb.«
»Der Erzbischof hat den Salzpreis erhöht. Der Krieg, Michel. Er macht alles teurer.«
Michel forderte Yves und Louis auf, die Fässer auf den Wagen zu laden, und zahlte Duval den gewünschten Preis. Obwohl er sich nicht wenig ärgerte, wusste er, dass man Erzbischof Johann schwerlich einen Vorwurf machen konnte. Hinter der Salzverteuerung steckte höchstens zu einem Teil Geldgier, aber zu neun Teilen blanke Not. Wegen der andauernden Kämpfe im deutschen Moselland waren der Erzdiözese Trier wichtige Einkünfte und Absatzmärkte weggebrochen. Johann musste hohe Verluste kompensieren, und die Saline von Varennes war nun einmal eine bedeutende Einnahmequelle für den Kirchenfürsten.
Michel verabschiedete sich von Duval und fuhr mit Yves und Louis zu seinem Haus. Da er morgen schon in die Champagne aufbrechen wollte, lohnte es nicht, die Fässer abzuladen. Sie ließen sie auf dem
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