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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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hinauf zur Kirche.
    Auf dem Dorfplatz zügelten sie ihre Pferde und schwangen sich aus den Sätteln. Einer der Waffenknechte blieb bei den Tieren, während Berengar die anderen zum Gotteshaus führte.
    Es war ein einfacher hölzerner Bau, ohne nennenswerten Turm, ohne Buntglasfenster oder Statuen, primitiv und heruntergekommen wie alles hier. Er hörte die Hörigen singen – sie riefen die Heiligen um Beistand an. Aber das würde ihnen auch nichts nutzen. In spätestens einer halben Stunde würde das Pack geschlossen auf dem Acker stehen und seinem Frondienst nachkommen, und wenn er jeden einzelnen Leibeigenen an den Ohren hinunterschleifen musste.
    Berengar griff nach dem eisernen Ring der Pforte. Just in diesem Moment wurde ein Flügel aufgestoßen, und ein gebeugtes Männlein erschien vor ihm.
    Zu seiner nicht geringen Verblüffung war es Jodocus, der alte Pfaffe aus der Stadt.
    »Was …«, begann er.
    Der Alte hob ein Kruzifix und hielt es ihm vors Gesicht. »Zurück!«, rief er mit einer Stimme, die viel zu fest und laut für so einen mageren, verschrumpelten Burschen war. »Wag es ja nicht, diese Menschen anzurühren. Sie stehen unter meinem Schutz und genießen das Asyl der Heiligen Römischen Kirche.«
    »Asyl? Was zum Teufel soll das sein? Lass mich vorbei, alter Mann. Diese Hörigen verweigern ihrem Herrn den Dienst …«
    »Sieh dich vor«, donnerte der Pfaffe und wich keinen Fingerbreit zurück. »Wenn du auch nur einen Fuß über diese Schwelle setzt, bekommst du den Zorn der Mutter Kirche zu spüren. Ich selbst werde Bischof Mathieu ersuchen, dich und deinen gottlosen Herrn zu exkommunizieren, damit eure Seelen bis zum Jüngsten Tag im Fegefeuer brennen und Heerscharen von Dämonen euch für eure ungezählten Sünden strafen.«
    Berengar schluckte. Er war fest im Glauben und fürchtete die Hölle nicht – und doch versetzten dieser verwelkte Kleriker und seine bildhaften Drohungen seiner Entschlossenheit einen Dämpfer. »Greift euch den Alten und holt die Leute aus der Kirche«, befahl er seinen Männern. »Na los.«
    Die Kriegsknechte rührten sich nicht von der Stelle. Nervös beäugten sie den Alten, der ihre Furcht zu wittern schien wie ein Jagdhund.
    »Das gilt auch für euch«, sagte Jodocus. »Entweiht diese Kirche mit eurer Bosheit, und eure Seelen fallen der Verdammnis anheim. Wollt ihr das? Wollt ihr das?«
    »Jetzt lasst euch doch nicht von diesem Wicht ins Bockshorn jagen«, bellte Berengar. »Schnappt ihn euch!«
    »Kirchenasyl ist ein altes und heiliges Recht, Herr«, meinte einer der Männer. »Wenn wir es verletzen, versündigen wir uns.«
    »Entweder du tust jetzt, was ich sage, oder ich lasse dich prügeln.«
    Der Mann leckte sich ängstlich die Lippen und verweigerte den Befehl.
    »Verschwindet«, sagte Jodocus. »Reitet zurück zu eurem Herrn. Er hat hier keine Macht mehr.«
    Berengar biss die Zähne zusammen. Er hätte den Alten zu gern an den Schultern gepackt und die Stufen hinabgeschleudert, doch er wagte es nicht. Er sah das Kruzifix und das Feuer des Glaubens in den Augen des Pfaffen, und seine Arme waren wie gelähmt. Fluchend fuhr er herum und stampfte die Treppe hinab. »Das wird Folgen haben, alter Mann«, knurrte er, doch Jodocus hatte die Pforte bereits wieder geschlossen.
    Die Hörigen sangen und priesen den Herrn für seine Güte.

Juni 1204

    V ARENNES -S AINT -J ACQUES
    A ls der Sommer kam, lernte Aristide, dass es unmöglich war, Leute zum Arbeiten zu zwingen, wenn sie nicht arbeiten wollten.
    Nicht, dass er nicht alles versucht hätte. Da sie sich nicht ewig in ihren Kirchen verstecken konnten, gelang es Berengar irgendwann, die Hörigen mit Stock- und Peitschenhieben auf die Felder zu treiben. Er überwachte sie, bis sie die Arbeit des Tages verrichtet und die Ernte zum Fronhof gebracht hatten. Wer aufbegehrte, wurde gezüchtigt, bis er wimmernd am Boden lag. Am Morgen darauf ritt er zum nächsten Dorf, wo er genauso verfuhr, und einen Tag später zum übernächsten. Mit eiserner Hand brach Berengar den Widerstand der Leibeigenen, doch er konnte nicht überall gleichzeitig sein. Wenn er die Hörigen im Osten des Ritterguts aus ihren Hütten scheuchte, saßen jene im Westen bereits wieder in der Dorfschenke und lachten über ihn. Aristides Ländereien waren zu groß. Zwei, höchstens drei Dörfer zur gleichen Zeit konnte sein Sarjant kontrollieren; für mehr reichten seine Männer nicht. Gut die Hälfte der Waffenknechte benötigte Aristide in Varennes, um die

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