Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
Vom Netzwerk:
Seine Hörigen zur Rebellion anzustacheln – wer glaubst du, wer du bist?«
    Er packte ihre Kutte und schleifte sie zur Pforte, während seine Männer in die Kapelle stürmten und sich auf die Beginen stürzten wie Wölfe auf eine Herde Lämmer. Die Frauen erwachten aus ihrer Erstarrung, sprangen auf und kreischten, als die Kriegsknechte mit Knüppeln auf sie einprügelten. Sie versuchten, durch die rückwärtige Tür zu fliehen, doch zwei seiner Männer versperrten ihnen den Weg.
    Berengar zerrte die Magistra nach draußen. Als sie sich aufrappeln wollte, versetzte er ihr noch einen Schlag, der sie benommen auf die Steinstufen vor der Kapelle sacken ließ. Er zerriss ihre Kutte und ihr Untergewand und starrte auf ihre fetten, weißen, unförmigen Pobacken. Abstoßend. Als sich in seiner Hose nichts regen wollte, erwachte seine Wut. Bisher war es nur ein Befehl gewesen, den er befolgte wie jeden anderen auch, doch plötzlich wurde er so zornig wie seit Jahren nicht mehr. Die Raserei ergriff von ihm Besitz wie ein Dämon, löschte seine Gedanken aus, übernahm die Gewalt über seine Arme, seine Beine, den ganzen Körper. Er trat die Magistra in die Seite, sodass sie von der Treppe auf den Weg fiel. Anstatt aufzustehen, sich zu wehren oder wenigstens davonzulaufen, blieb sie liegen, hielt die Augen geschlossen und flüsterte ein Gebet. Lautlos und monoton wie einen Abzählreim.
    Berengar setzte ihr das Knie auf die Brust, packte ihre Kehle und schlug zu.
    Noch Stunden später hing Rauch in der Luft wie giftiger Nebel. Der Kräutergarten war zertrampelt, der Innenhof eine einzige Pfütze aus Wasser, Schlamm und Asche.
    Isabelle betrachtete die Überreste der Wirtschaftsgebäude. Fast die gesamte Südostseite des Beginenhofs war niedergebrannt. Von den Werkstätten, den Ställen und dem Kornspeicher waren nur noch Haufen schwarzer Balken und schwelende Mauern übrig. Lediglich der Wohntrakt stand noch. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn die Leute aus dem Nachbarviertel und die Bewohner der Judengasse nicht sofort gehandelt und das Feuer gelöscht hätten. So trocken, wie es seit Tagen war, hätten sich die Flammen ausbreiten und den ganzen Osten Varennes’ vernichten können.
    Was für eine Bestie muss man sein, um so etwas zu tun?
    Staksend und unsicher, als wäre sie eine Gliederpuppe mit dünnen Fäden an Armen und Beinen, ging sie zum Wohnhaus der Magistra. Der Hof war verwaist. Ihre einstigen Schwestern waren in der Abtei Notre-Dame-des-Champs, einen Steinwurf die Grande Rue hinauf, wo sich die Mönche um sie kümmerten und seelische wie körperliche Wunden versorgten. Viele Beginen hatten gebrochene Finger, geschundene Gesichter, ausgeschlagene Zähne, doch wie durch ein Wunder hatten alle die Nacht überlebt. Der Allmächtige hat uns beschützt, hatte Pétronille gesagt, und sie hatte dabei gelächelt.
    Gelächelt. Wenn Isabelle daran dachte, verengte sich ihre Kehle.
    Sie stieg die Treppen hinauf und betrat die Kammer der Magistra. Frédégonde lag in ihrem Bett, Clarissa war bei ihr und betupfte ihr Gesicht mit einer Kräuterlösung.
    »Isabelle«, sagte die Begine. Auch sie lächelte.
    Frédégondes Gesicht sah kaum noch menschlich aus. Die Lippe aufgeplatzt, ein Auge zugeschwollen, Augenbrauen und Wangen blau und violett wie ranziges Fleisch. Es dauerte einen Moment, bis Isabelle ihre Stimme wiederfand. »Wie geht es ihr?«
    »Der Medicus hat ihr Mohnblumensaft gegeben, damit sie schläft. Er sagt, sie wird durchkommen.«
    »Wurde sie …« Die nächsten Worte kamen Isabelle nicht über die Lippen.
    Clarissa schüttelte den Kopf und kniff die Lippen zusammen. Sie war blass, verängstigt, zu Tode erschöpft.
    »Geh zu deinen Schwestern. Ich bleibe so lange bei ihr.«
    Zögernd stand die junge Begine auf. Sie küsste Isabelle auf die Stirn und verließ lautlos die Kammer.
    Isabelle setzte sich auf die Bettkante, tauchte den Schwamm ins Wasser und betupfte Frédégondes Gesicht. Tiere, dachte sie. Monster. Ungeheuer. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie ließ den Schwamm in die Schale fallen, zog die Schuhe aus und legte sich zur Magistra. Schmiegte sich an sie und streichelte ihre Hände, die gefaltet auf der Bettdecke lagen.
    Seit Jahren kümmerten sich die Beginen um Arme und Bedürftige, gaben den Hungernden Brot, spendeten den Verzweifelten Trost. Das Stadtvolk liebte sie dafür, und besonders liebte es die Magistra. Die Leute verehrten dieses fette, selbstherrliche Weib wie eine verdammte

Weitere Kostenlose Bücher