Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
war das die Gelegenheit, auf die er so lange gewartet hatte. Vielleicht gelang es ihnen endlich, ihre ersehnte Freiheit zu erringen, die er damals, als junger Heißsporn, in Mailand kennengelernt hatte.
Deforest führte sie zu einer Lichtung am Fuß eines alten Hügelgrabes, sie setzten sich auf die moosigen Steine und warteten. Keiner von ihnen wusste, wo sich die Führer der Bruderschaften und deren Familien versteckten. Caboche hatte es vorgezogen, ihre Zuflucht nicht preiszugeben, aus Angst, de Guillorys Kriegsknechte könnten den Kaufleuten auf die Schliche kommen und ihnen heimlich folgen. Lange mussten Michel und seine Begleiter jedoch nicht warten; bereits nach einer halben Stunde kamen die Männer. Verstohlen wie Gesetzlose erschienen sie zwischen den Bäumen, vierzehn an der Zahl. Jeder von ihnen stand einer bestimmten Zunft oder Pfarrgemeinde vor, und sie alle genossen bei ihren Leuten und in der Stadt höchsten Respekt.
»Ich danke euch, dass ihr gekommen seid«, sagte Michel, nachdem sie einander begrüßt hatten.
»Ist euch jemand gefolgt?«, fragte Jean Caboche.
»Niemand. Wir sind hier sicher.«
Vorsichtshalber hatten sie ihre Knechte angewiesen, auf Bäume zu klettern. Von dort oben konnten sie den Waldrand überblicken und sie rechtzeitig warnen, falls wider Erwarten Soldaten auftauchten.
Die Anführer musterten Michel wachsam. Wenngleich er bei den Bruderschaften hochangesehen war – viele Handwerker und Bauern erinnerten sich noch gut daran, wie er einst Bischof Ulman getrotzt und für mehr Freiheit und Bürgerrechte gekämpft hatte –, so war er doch ein Kaufmann, Angehöriger eines höheren Standes, der nicht immer zum Wohle des einfachen Volkes handelte. Michel wusste, dass er sich seine Worte genau überlegen musste, wenn er diese Männer für seine Pläne gewinnen wollte.
»Deforest sagte, die Gilde will uns gegen de Guillory beistehen«, brach Caboche das Schweigen.
»Das ist richtig. De Guillory ist stark, und er kennt keine Skrupel. Wir können ihn nur gemeinsam schlagen.«
»Heißt das, ihr stellt uns Söldner und Waffen und zieht an unserer Seite in den Kampf?«, sagte Guichard, der Anführer der Weber, Gewandschneider und Hutmacher.
»Nein. Dieser Kampf führt zu nichts. Mit dem Schwert können wir de Guillory nicht bezwingen. Wohl aber mit unserem Verstand.«
Unruhe machte sich unter den Männern breit.
»Das ist töricht«, rief der Führer der Tischler und Zimmerleute. »Dieser Kerl versteht nur eine Sprache – die der Gewalt!«
»Ja!«, riefen andere.
»Lasst ihn weiterreden«, forderte Jean Caboche die aufgebrachten Männer auf.
»Gewalt führt stets nur zu mehr Gewalt«, fuhr Michel unbeirrt fort. »Was habt ihr bisher mit eurem Kampf erreicht? Gewiss, ihr habt de Guillory zornig gemacht und ihm einigen Schaden zugefügt. Aber im Gegenzug hat er eure Nachbarn erschlagen und eure Freunde aufgeknüpft. War es das wert? Ihr könnt ihn nicht besiegen – zumindest nicht so.«
Der Ärger der Männer wich Betroffenheit. Sie alle hatten in den letzten Tagen Freunde und Verwandte verloren, manch einer gar einen Sohn, einen Bruder oder den Vater. Tief im Innern wussten sie, dass sie eine aussichtslose Schlacht schlugen.
»Aber wenn wir nicht kämpfen«, sagte Archambaud Leblanc, der Führer der Stadtbauern, der ein einfaches braunes Gewand trug, obwohl er reich war wie ein Kaufmann, »was sollen wir stattdessen tun?«
»Wir treffen de Guillory da, wo es ihn am meisten schmerzt: an seiner Geldbörse und seinen Kornspeichern.« In knappen Worten schilderte Michel sein Vorhaben und legte all seine Überzeugungskraft hinein. Er hatte nichts verlernt in all den Jahren – er verstand es immer noch, in das Herz eines Mannes Begeisterung zu pflanzen und ihn für seine Ideen zu gewinnen.
»Ja. Das könnte klappen«, sagte Caboche, und Leblanc nickte zustimmend. »Was meint ihr?«
Die Anführer berieten sich leise. Einige Männer schienen mit dem Plan nicht einverstanden zu sein, doch sie waren in der Unterzahl. Die anderen überredeten sie mitzumachen. Schließlich trat Caboche vor und sagte: »Wir sind dabei – unter einer Bedingung: Wenn wir gesiegt haben, bekommen wir unseren Teil der Freiheit. Wir haben diesen Kampf begonnen und große Opfer gebracht. Ihr Kaufleute dürft nicht den ganzen Lohn einstreichen.«
»Wir werden ihn gerecht unter uns aufteilen – ihr habt mein Wort.«
Michel streckte die Rechte aus. Caboche ergriff sie, und so besiegelten sie ihren
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