Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition)
blutverschmierte Fratze, die Nase tief eingerissen, unförmig gequollen, die rechte Augenhöhle blutverschmiert, schwarz-bläulich verfärbt, weitgehend zugeschwollen. War da überhaupt noch ein Auge? Sander erschrak angesichts des gräßlichen Anblicks.
Dieses Gesicht war Alptraum und Bedrohung zugleich, verkörperte es doch gleichzeitig den unbändigen Willen, die Unbeugsamkeit des Feindes. Mochten dessen Schmerzen die Hölle bedeuten, der Fremde würde nicht nachlassen, diesen letzten Auftrag zu erfüllen. Bald würde er in den Kreis der Märtyrer aufgenommen, seinem Vater nahe sein. Diese Gewißheit setzte in ihm animalische Kräfte frei. Sander spürte instinktiv die Bedrohung. Er versuchte, sich von dem Burschen hüpfend zu entfernen, erkannte aber bald, daß er riskierte, das Gleichgewicht zu verlieren. Zu fest, zu schmerzhaft schlang sich der Draht um seine Fessel. So sehr er sich dagegen stemmte, der Fremde zog ihn unwiderstehlich näher und näher zu sich heran. In seiner Not warf sich Sander in entgegengesetzter Richtung zu Boden. Jetzt hatte er den besseren Hebel! Er stemmte den rechten Fuß in den Grund und arbeitete sich ein Stück von seinem Kontrahenten fort. Er mußte den Bahndamm erreichen! Von dort aus könnte er den Gegner mit Schotter traktieren! Der könnte sich nicht dagegen wehren, solange er die Griffe der Drahtschlinge umschlungen hielt. Wieder stemmte Sander den angewinkelten rechten Fuß in den Grund des Weges, doch der Fremde hatte seine Absicht durchschaut und hielt mit Macht dagegen.
So lagen sie eine Weile, jeder vor Anstrengung keuchend, bis Sander schließlich den erbitterten Widerstand brechen und sich erneut ein Stück näher an den Bahndamm heranarbeiten konnte. Das Ringen dauerte an, verbissen um jeden Zentimeter kämpfend, begleitet vom Stöhnen der sich bis an den Rand vollkommener Erschöpfung Quälenden. Über ihnen polterte der Zug. Endlich konnte Sander das erste Schotterstück ergreifen. Er schleuderte es mit Wucht an den Schädel, den der Fremde vergeblich in seiner Achselhöhle zu verbergen suchte. Der Bursche schrie auf. Es gelang Sander, ein Stück des Bahndamms zu erklimmen. Über ihm mahlten die Räder des Zuges ihr bedrohliches Lied, unter sich hörte er das Stöhnen des Angreifers, der sich mit erstaunlicher Kraft dem Ziehen zu widersetzen vermochte.
Die Schmerzen an der linken Fessel waren inzwischen unerträglich, sie machten jede weitere Anstrengung zunichte. Wieder ergriff Sander Schottersteine, schleuderte sie verzweifelt gegen Schädel und Oberkörper des Fremden. Dieser stöhnte bei jedem Treffer, aber er löste die Schlinge nicht. Sander begriff, daß das Gefecht auf diese Weise nicht zu gewinnen war. Er blickte über die Schulter. Das Ende des Zuges konnte er aus seiner Position nicht erkennen. Er hatte einen Plan, einen äußerst riskanten Plan, doch er würde ihn ausführen. Er hatte keine Wahl. Er stemmte den freien Fuß in den Schotter, wuchtete sich und den Fremden ungeachtet des brennenden Schmerzes Stück um Stück den Bahndamm hinauf. Schließlich lag er, nach Atem ringend, auf dem unter der Last des Zuges vibrierenden Schotterbett unmittelbar neben der Schiene, doch der fanatische Killer, trotz seiner Gegenwehr schon mit halbem Körper auf der Böschung des Bahndamms, hielt verbissen die Griffe umklammert. Vermutlich sammelte er Kraft für die letzte, alles entscheidende Attacke. Noch war dieser Kampf nicht entschieden!
Sander beobachtete, wie Drehgestell um Drehgestell in langsamer Fahrt an ihm vorüber glitt, ihr Gewicht die rhythmisch bebenden Schwellen unter seinem Körper ins Gleisbett drückte. Er mußte zwischen den Drehgestellen eines Waggons diese verdammte Schiene überqueren, dann wäre er gerettet! Doch da war die Schlinge um seine Ferse, mit letzter Kraft gehalten von diesem Wahnsinnigen. Würde der seinen Plan durchschauen? Hätte dieses entstellte Monstrum dann noch die Kraft, ihn an der vollständigen Überquerung der Schiene zu hindern? Das würde den sicheren Tod bedeuten, im günstigsten Falle den Verlust des Beines! Zweimal schon hatte er zu seinem letzten Schachzug angesetzt, diesen aber jeweils abgebrochen. Zu groß war die Angst, die Schiene vor dem heranrollenden Räderwerk nicht rechtzeitig überquert zu haben. Wieder glitt das hintere Drehgestell eines Waggons vorbei, sogleich gefolgt von dem vorderen des nachfolgenden Waggons. Unmittelbar hinter einem vorderen Drehgestell mußte er es wagen! Das Herz schlug ihm bis
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